3. Dezember 2012

FRESSEN UND GEFRESSEN WERDEN (Marios Märchenstunde Teil 1)


Hallo, liebe Kinder!

In dieser neuen Reihe lesen wir beliebte Märchen und beginnen mit "Hänsel und Gretel" (hier online) - einer zauberhaften Geschichte von Hungersnot, Kindesmisshandlung und Kannibalismus...







ERST KOMMT DAS FRESSEN

Eine schöne deutsche Tradition ist es, Kindern die berühmten und bezaubernden Märchen Grimms vorzulesen und sie damit in das süße Reich der Träume zu schicken.
Die heitere Erzählung "Hänsel und Gretel" beginnt mit der Entscheidung eines Ehepaares: Sollen sie ihre Kinder zum Sterben in den Wald schicken oder ihnen doch lieber beim Verhungern zusehen?
Klassische Disney-Familienunterhaltung also.

"Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und zu brechen und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Gretel. 
Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen und wusste keine Hülfe mehr für seine Not. 

Wie er sich nun abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm: „Höre, Mann, morgen früh nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, dann führ sie hinaus in den Wald, mitten hinein, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, dann geh weg und lass sie dort allein, wir können sie nicht länger ernähren." 
„Nein, Frau", sagte der Mann, „wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Tieren im Wald zu bringen, die würden sie bald zerrissen haben!" 
„Wenn du das nicht tust", sprach die Frau, „so müssen wir alle miteinander Hungers sterben." 

Dies ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte."

(Hänsel und Gretel, Grimms "Kinder- und Hausmärchen", 1825)


Ich hasse es ja, immer den Klugscheißer spielen zu müssen... Na gut, ich geb's zu, das stimmt nicht, ich liebe es. Aber wenn der Wald nun von wilden Tieren nur so wimmelt und die Familie kurz vor dem Verhungern ist - könnte man da nicht eine Lösung finden, die beide Probleme gleichzeitig beseitigt?..

Die korrekte Antwort ist natürlich: Der Mann tötet die Tiere, bastelt sich aus deren Pelzen einen prächtigen Umhang, stolziert damit durch die Stadt und lenkt so den Bäcker ab, vielleicht mit einer kleinen Tanzdarbietung, während die Frau unterdessen ein paar Brote stibitzt. Doch auf so eine einfache und naheliegende Lösung kommt das Paar nicht.



SHUT UP WHEN YOU'RE TALKING TO ME

Die stereotyp-böse Stiefmutter gibt es in den Versionen, die in den ersten Ausgaben der "Kinder- und Hausmärchen" aus den Jahren 1812-1840 enthalten sind, noch nicht. Hier ist es noch die leibliche Mutter, die ihre Kinder wegschicken möchte. Der Vater ist der Sympathieträger der Story, da er sich zunächst gegen das Vorhaben sträubt - obwohl auch er keine Idee hat, wie er seine Kinder vor dem Hungertod bewahren soll und sich von seiner Frau schließlich doch dazu überreden lässt, seine Kinder im Wald auszusetzen.

Doch dies stellt sich als gar nicht so einfach heraus, wie man es erwarten können. Die Kinder haben nämlich das Gespräch mitangehört und sind vorgewarnt. Der clevere Hänsel denkt sich einen Plan aus und tröstet seine weinende Schwester liebevoll mit der Aufforderung, doch bitte mal die Fresse zu halten.

"Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen und hatten mit angehört, was die Mutter zum Vater gesagt hatte. 

Gretel dachte, nun ist es um mich geschehen, und fing erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach: „Sei still, Gretel, und gräme dich nicht, ich will uns schon helfen." 
Damit stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich hinaus. Da schien der Mond hell und die weißen Kieselsteine glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten, dann ging er zurück ins Haus."


Am nächsten Tag macht die Familie einen Ausflug in den Wald. Heimlich markiert Hänsel jedoch den Weg mit den Kieselsteinen, so dass er später wieder zurückfindet. Warum die Kinder zunächst ahnungslos tun und sich aussetzen lassen, nur um direkt danach wieder umzukehren, ist mir nicht so ganz klar. Am sichersten wäre es doch gewesen, einfach im Haus zu bleiben, statt durch eine List heimzukehren, bei der viele Dinge schiefgehen können. Zum Beispiel hätten die Eltern, als ihre Kinder plötzlich unerwartet wieder vor ihrer Tür standen, einfach das Licht ausmachen können und so tun, als wären sie nicht da - so hätte ich es jedenfalls gemacht.



THE HISTORY BOOK ON THE SHELF

"Wie sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: „Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, dass wir nicht frieren." 

Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Da steckten sie es an und wie die Flamme recht groß brannte, sagte die Mutter: „Nun legt euch ans Feuer und schlaft, wir wollen in dem Wald das Holz fällen; wartet, bis wir wieder kommen und euch abholen."

Hänsel und Gretel saßen bis Mittag an dem Feuer, da aß jedes sein Stücklein Brot; sie glaubten, der Vater wäre noch im Wald, weil sie die Schläge seiner Art horten, aber das war ein Ast, den er an einen Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug."

Da die Kinder keine Ahnung haben, wie sie nach Hause kommen sollen, zumindest soweit ihre Eltern das wissen, scheint die Täuschung mit der Axt unnötig und kostenaufwendig. So eine Axt ließe sie sicherlich für ein paar Brote verhökern. Doch die Axt wurde umsonst geopfert, da Hänsel und Gretel nachts den weißen Kieselsteinen folgen und nach Hause zurückkehren.




Die Mutter sagt: "Oh, da sind ja die Kinder, die wir ausgeset.. äh, verloren haben. Was für ein Glück. Hurraaa!" - meint es aber gar nicht so. Der Vater dagegen freut sich von Herzen.

"Da gingen sie die ganze Nacht durch und wie es Morgen war, kamen sie wieder bei ihres Vaters Haus an. 
Der Vater freute sich, als er seine Kinder wieder sah, denn es war ihm zu Herzen gegangen, wie er sie so allein gelassen hatte; die Mutter stellte sich auch, als wenn sie sich freute, heimlich aber war sie bös."


Fragt sich nur, warum der Vater so froh war. Immerhin befindet er sich jetzt wieder in exakt derselben aussichtslosen Lage, zwar mehrere Familienmitglieder, jedoch keine Nahrungsmittel zu besitzen. Der einzige Unterschied ist, dass er um eine Axt ärmer ist und seine Kinder um ein lebenslanges Trauma reicher.
Und es ist ja nicht so, als würde der Vater seine Tat derart bereuen, dass er ein für alle Male seine Lektion lernt - was man an den nächsten Szene sehen kann, in der er seine zwei Kinder erneut in einem Wald voll wilder Tiere aussetzt...



THE NIGHT IS DARK AND FULL OF TERRORS

Das Holzfäller-Paar hat zwar seine Kinder wieder, aber noch immer keine Nahrung - das genaue Gegenteil von dem, was die Eltern mit dem Aussetzen ihrer Kinder eigentlich erreichen wollten.

"Nicht lange danach war wieder kein Brot im Hause und Hänsel und Gretel hörten, wie abends die Mutter zum Vater sagte: „Einmal haben die Kinder den Weg zurückgefunden und da habe ich's gut sein lassen; aber jetzt ist wieder nichts, als nur noch ein halber Laib Brot im Haus, du musst sie morgen tiefer in den Wald führen, dass sie den Weg nicht zurück finden, es gibt sonst keine Hilfe mehr für uns." 

Dem Manne fiel es schwer aufs Herz und er dachte, es wäre doch besser, wenn du den letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest; weil er es aber einmal getan hatte, so dürfte er nicht nein sagen." 

Eine recht merkwürdige moralische Verpflichtung scheint der Vater hier zu verspüren: Weil er ja schon ein mal seine Kinder ausgesetzt hatte, muss er jetzt wieder tun?

Die klügste Methode scheint ihm, exakt das gleiche wieder zu tun, was bei ersten Mal schon nicht funktioniert hatte.
Bei der gleichen Handlung unterschiedliche Ergebnisse erwarten, das ist laut Einstein die Definition von Weisheit. War es Weisheit? Ich weiß nicht so genau.
Jedenfalls beginnt der Vater mit demselben Fehler wie zuvor und plaudert munter über den genauen Termin der Kinderaussetzung - ohne vorher zu prüfen, ob die Bälger nicht vielleicht in Hörweite sind...

"Als die Kinder das Gespräch gehört hatten, stand Hänsel auf und wollte wieder Kieselsteine auflesen, wie er aber an die Türe kam, da hatte sie die Mutter zugeschlossen. Doch tröstete er die Gretel und sprach: „Schlaf nur, Gretel, der liebe Gott wird uns schon helfen.""


Hänsel kann diesmal keine Kieselsteine sammeln. Doch er versichert seiner Schwester, dass der liebe Gott ihnen schon helfen werde. Und tatsächlich schickt Gott dem jungen Knaben eine Eingebung: Er benutzt einfach Brotkrumen anstatt Kieselsteine!
Dann schickt Gott Tiere, die die Brotkrumen fressen und die beiden Kinder stehen verloren und brotlos im Wald.
Eigentlich ein wenig hinterfotzig vom lieben Gott, wenn ihr mich fragt...



ES WAR SO FINSTER UND AUCH SO BITTERKALT

Es sieht nicht gut aus für unsere kleinen Helden. Da Vögel die Brotkrumen fressen, mit denen Hänsel den Weg markiert hatte, finden die Kinder nicht mehr nach Hause. Und selbst wenn, hieße das höchstwahrscheinlich nur, am nächsten Tag erneut ausgesetzt zu werden...

"Der Mond ging auf, wie aber Hänsel nach den Bröcklein sah, da waren sie weg, die viel tausend Vöglein in dem Wald, die hatten sie gefunden und aufgepickt. 

Hänsel meinte doch den Weg nach Haus zu finden und zog die Gretel mit sich, aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis, und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein. 
Dann gingen sie noch einen Tag, aber kamen nicht aus den Wald heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts zu essen als ein paar kleine Beeren, die auf der Erde standen."

Beeren sind natürlich nicht so toll wie, sagen wir mal, ein Haus aus Lebkuchen. Jedoch stellt sich die Frage, warum niemand aus der hungrigen Holzfällerfamilie auf die Idee kommt, mit der kompletten Sippe den ganzen Tag Beeren im Wald zu sammeln. Besser als Verhungern, so scheint es mir jedenfalls. Aber die Eltern hielten anscheinend es für klüger, ihre Kinder zum Sterben in den Wald zu bringen. Jeder nach seiner Facon...





SIE KAMEN AN EIN HÄUSCHEN

Die Kinder kommen an ein seltsames Lebkuchenhaus und denken sich nichts weiter dabei, außer dass sie hungrig sind. Da das Fressen vor der Moral kommt, verschwenden sie keinen Gedanken daran, dass ein solches seltsames Haus sicherlich auch einen Besitzer hat.

"Als sie am dritten Tage wieder bis zu Mittag gegangen waren, da kamen sie an ein Häuslein, das war ganz aus Brot gebaut und war mit Kuchen gedeckt, und die Fenster waren von hellem Zucker. 
„Da wollen wir uns niedersetzen und uns satt essen", sagte Hänsel; „ich will vom Dach essen, iss du vom Fenster, Gretel, das ist fein süß für dich.""


Die sehbehinderte Bewohnerin des Hauses, das Hänsel und Gretel gerade mutwillig zerstören, ruft aus dem Fenster und fragt, wer denn dort sei.
Clever antworten die Kinder "der Wind" und glauben damit offensichtlich, die Lebkuchenhausfrau getäuscht zu haben. Sicherlich verschwendet sie nun keinen Gedanken mehr daran, warum ihr Heim gerade aufgegessen wird. Natürlich, sprechender Wind! Ist ja nicht ungewöhnlich, zu der Jahreszeit!

"Wie nun Gretel an dem Zucker knusperte, rief drinnen eine feine Stimme:

„Knusper, knusper, Knäuschen!
„Wer knuspert an meinem Häuschen!"
Die Kinder antworteten:
„Der Wind! Der Wind!
„Das himmlische Kind!"

Und aßen weiter. "


Das mit dem Wind ist natürlich viel schlauer als einfach wie ein Trottel nichts zu sagen und zu hoffen, dass die Hexe glaubt, sich geirrt zu haben. Daher essen die Kinder einfach weiter und ziehen die Möglichkeit, dass ihre Täuschung vielleicht doch nicht funktionieren könnte, gar nicht erst in Erwägung. Die Frau fällt allerdings nicht auf das brillante Ablenkungsmanöver herein und kommt aus dem Haus heraus. Dies wird sich nicht unbedingt positiv auf die Zukunft der Kinder auswirken...

Ein wenig kann ich das nun folgende, hinterhältige Verhalten der Hexe allerdings verstehen. Wenn jemand mein Haus essen würde, wäre ich auch sauer. Fairerweise muss ich jedoch zugeben: Wenn ich ein Haus aus süßem Gebäck hätte, hätte ich es wahrscheinlich schon längst selbst verspeist.



KINDERTELLER

"Gretel brach sich eine ganze runde Fensterscheibe heraus und Hänsel riss sich ein großes Stück Kuchen vom Dach ab. Da ging die Türe auf und eine steinalte Frau kam heraus geschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, dass sie fallen ließen, was sie in Händen hatten."





Zunächst wirkt die alte Frau noch freundlich und tischt den Kinder ein festliches Mahl auf. Oder nach unseren heutigen Maßstäben eine normale Zwischenmahlzeit.

"Die Alte aber wackelte mit dem Kopf, und sagte: „Ei, ihr lieben Kinder, wo seid ihr denn hergelaufen, kommt herein mit mir, ihr sollt es gut haben." 
Sie fasste beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse und dann wurden zwei schöne Bettlein bereitet, da legten sich Hänsel und Gretel hinein und meinten, sie waren im Himmel."

Komisch, deutsche Kinder glauben heutzutage selten, sie seien im Himmel, wenn sie genügend zu essen und ein Bett haben. Verwöhnte Gören!

Die Kinder schlafen, scheinbar in Sicherheit und wohl zum letzten mal ohne furchtbare Alpträume. Denn die nette alte Frau entpuppt sich als kinderfressende Hexe. Die Kinder lernen die Lektion, keine Süßigkeiten von Fremden anzunehmen, auf die harte Weise...

"Die Alte aber war eine böse Hexe, die lauerte den Kindern auf und hatte bloß um sie zu locken ihr Brodhäuslein gebaut und wenn eins in ihre Gewalt kam, da machte sie es tot, kochte es und aß es und das war ihr ein Festtag. Da war sie nun recht froh, wie Hänsel und Gretel ihr zugelaufen kamen."



I LIKE BIG BUTTS AND I CANNOT LIE

Während die Kinder schlafen, betrachtet die Hexe die beiden Kinder und freut sich über den leckeren Anblick. Schreibt euch das auf, Kinder, das kommt im Test vor.

"Früh, ehe sie noch erwacht waren, stand sie schon auf, ging an ihre Bettlein und wie sie die zwei so lieblich ruhen sah, freute sie sich und murmelte: „Das wird ein guter Bissen für mich sein!""


Die Hexe sperrt Hänsel in einen Käfig und macht Gretel zu ihrer Sklavin. Sie versucht, den Jungen zu mästen, doch leider kann sie den Erfolg ihres Projektes nicht optimal beobachten, da sie anscheinend schlagartig so sehbehindert geworden ist, dass sie nicht einmal die Silhouette eines Menschen erkennen kann.
Hänsel nutzt diese Schwäche, um die Hexe zu täuschen. Statt wie von der Hexe verlangt seine Finger zur Fettkontrolle herzuzeigen, streckt Hänsel einen kleinen Knochen heraus.

"Da ward nun alle Tage dem Hänsel das beste Essen gekocht, dass er fett werden sollte, Gretel aber bekam nichts als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „Hänsel, streck deine Finger heraus, dass ich fühle, ob du fett genug bist." 
Hänsel streckte ihr aber immer ein Knöchlein heraus, da wunderte sie sich, dass er gar nicht zunehmen wollte."


Es wird gesagt, dass bei vielen Menschen, die ihre Sehkraft verloren haben, die anderen Sinne besonders ausgeprägt sind. Zumindest für den Tastsinn der beinahe blinden Hexe scheint dies nicht zuzutreffen, da sie nicht in der Lage ist, den Unterschied von menschlichem Fleisch und einem Knochen zu ertasten...
Warum bevorzugt die Hexe überhaupt fette Kinder? Ist nicht gewöhnlicherweise das Muskelfleisch das Beste an einem Braten, während man das Fett wegschmeißt? Oder ist das bei Menschenbraten anders? Ich muss gestehen, ich kenne mich nicht besonders gut aus mit der haute cuisine.
Die Hexe scheint Fett für unverzichtbar für ihr Festmahl zu halten, doch die ist ja zugegebenermaßen auch ein klein wenig seltsam. Aber wenn man sich dann schon mal die Mühe macht, ein Kind zu mästen: Ist ein Finger wirklich das beste Körperteil zum Ertasten, ob es bereits fettleibig ist?

Auch erschließt sich mir nicht vollständig, warum Hänsel sich überhaupt mästen lässt. Er hätte ja einfach normale Mengen essen können und den Rest wegschmeißen. Dann hätte er auch seinen echten Finger hervorzeigen können. So wäre das Risiko elimiert, dass das Täuschungsmanöver mit dem Knochen auffliegt. Aber die Aussicht, Essen in sich hineinzustopfen, bis man fett ist, scheint für Hänsel so verlockend, dass er die Gefahr erwischt zu werden in Kauf nimmt, und daher ignoriert Hänsel die wohlbekannte Volksweisheit, dass ein dünner Junge besser vor einer bösen Hexe wegrennen kann als ein sehr fetter.
Allerdings sollte man sowieso meinen, es sei nicht schwer, vor einer alten, fast blinden Frau wegzurennen, die - obwohl sie als Hexe bezeichnet wird - keine magischen Fähigkeiten zu besitzen scheint.





READY OR NOT, HERE I COME, YOU CAN'T HIDE

Die Hexe verliert nach einem Monat die Geduld und beschließt, Hänsel auch ungemästet zu verspeisen. Wie allgemeinhin bekannt, reicht man Kinderfleisch am Besten zu frisch gebackenem Brot und so befiehlt die Hexe Gretel, ein Feuer im Ofen anzumachen.

"Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Gretel: „Sei flink, geh und trag Wasser herbei, dein Brüderchen mag nun fett sein oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will inzwischen den Teig anmachen, dass wir auch dazu backen können.""

Psychologisch gesehen ist es etwas ungeschickt von der Hexe, Gretel davon zu erzählen, dass sie morgen ihren Bruder töten will. Zuvor konnte sie das Mädchen mit der Drohung, Hänsel zu töten, zum Sklavendienst zwingen. Nun kann sie höchstens noch Gretel selbst bedrohen. Doch die hat nichts zu verlieren, wenn sie begriffen hat, dass sie so oder so im Kochtopf landen wird, ob sie gehorcht oder nicht.
Außerdem nimmt die Tatsache, dass die Hexe extrem kurzsichtig ist und die Kinder nicht einmal richtig sieht, wenn sie direkt vor ihr stehen, der alten Hexe auch etwas von ihrer Bedrohlichkeit.


"Gretel stand in der Küche, weinte blutige Tränen und dachte, hätten uns lieber die wilden Tiere im Walde gefressen, so wären wir zusammen gestorben, und müssten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich müsste nicht selber das Wasser sieden, zu dem Tode meines lieben Bruders: „Du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Not!""

Gretel ist hoffnungslos und fleht Gott an, ihr und ihrem Bruder zu helfen. Wie immer hält der sich jedoch aus der Sache raus und wie immer liegt es an den Menschen, ihren eigenen Arsch zu retten. Besser gesagt an Gretel, denn ihr Bruder ist ja immer noch hilflos im Käfig. Gott unternimmt nichts, um ihn daraus zu befreien und schickt der Hexe auch keinen Schlaganfall oder etwas ähnliches schickt, um sie kampfunfähig zu machen - z.B. einen (Achtung!:) "Hexenschuss"...
Deshalb wartet Gretel zum Glück nicht mehr lange auf Hilfe von außen und nimmt die Sache in die eigenen Hände. Mit einem Trick bringt Gretel die Hexe dazu, sich in die Öffnung des Ofens zu setzten und schubst sie dann hinein und macht die Klappe zu.
Die Hexe ist schon ein bisschen selbst daran Schuld, auf diesen billigen Trick hereinzufallen, besonders da sie just in dem Moment eigentlich gerade vorhatte, dasselbe mit Gretel zu machen.

"Da setzte sich die Alte auf das Brett und weil sie leicht war, schob Gretel sie hinein, so weit es konnte, dann machte es geschwind die Türe zu und steckte den eisernen Riegel vor. Nun fing die Alte an in dem heißen Backofen zu schreien und zu jammern, Gretel aber lief fort, und sie musste elendiglich verbrennen."




Also keine Bange, liebe Kinder, alles ist gut: Die alte Frau verbrennt elendiglich bei lebendigem Leibe. Gretel befreit ihren Bruder und die beiden plündern die Reichtümer der Hexe und gehen nach Hause. So ist die Welt wieder in Ordnung.

"Das ganze Häuschen aber war voll von Edelsteinen und Perlen, damit füllten sie ihre Taschen, gingen fort und suchten den Weg nach Haus."



DING, DONG, THE WITCH IS DEAD

Um nach Hause zu kommen, reisen die Kinder zu Fuß und auf einer Teilstrecke auch auf einer Ente.
Echt, eine Ente? Warum zum Teufel hat man nicht einfach einen Schwan genommen? Das wäre ja noch halbwegs glaubhaft, dass ein kleines Kind auf einem Schwan sitzt, ohne den armen Kerl zu versenken und zu ertränken, aber eine Ente? Sollte man definitiv nicht zu Hause nachmachen.

"Sie kamen aber vor ein großes Wasser und konnten nicht hinüber. Da sah das Schwesterchen ein weißes Entchen hin und her schwimmen, dem rief es zu: „Ach, liebes Entchen, nimm uns auf deinen Rücken." Als das Entchen das hörte, kam es geschwommen, trug Gretel hinüber und hernach holte es auch Hänsel."



Gretel auf einer seltsamen Ente

So finden unsere kleinen Helden wieder nach Hause, wo ihr Vater auf sie wartet. Nicht aber die Mutter, die ist inzwischen tot - welch ein Glück!

"Danach fanden sie bald ihre Heimat. Der Vater freute sich herzlich, als er sie wieder sah, denn er hatte keinen vergnügten Tag gehabt, seit seine Kinder fort waren. Die Mutter aber war gestorben. Nun brachten die Kinder Reichtümer genug mit und sie brauchten für Essen und Trinken nicht mehr zu sorgen."



BIS AN IHR LEBENSENDE

Wie bei Märchen üblich, gibt es in "Hänsel und Gretel" ein Happy End: Durch die Wertsachen der Hexe ist die Familie nun reich genug, dass sie sich nie wieder um Essen Gedanken machen muss. Auch die böse Mutter (und in späteren Versionen die Stiefmutter) macht keinen Ärger mehr, da sie stirbt, bevor Hänsel und Gretel heimkehren. Nach den schrecklichen Dingen, die wir in dem Märchen erfahren, wirkt ein Happy End allerdings sehr konstruiert, finde ich.
Besser zum Rest würde ein etwas weniger optimistisches, aber historisch realistisches Ende passen. So wie beispielsweise dieses:


MARIOS ALTERNATIVES ENDE ZU "HÄNSEL UND GRETEL"

"Alle Bewohner des Dorfes waren erstaunt über den plötzlichen Reichtum des Holzfällers. Auch waren sie neidisch, weil ihre Kinder verhungern mussten, während Hänsel und Gretel immer fetter wurden. 

Doch eines Nachts kamen listige Diebe in das Haus des Holzfällers und stahlen die Schätze, welche Hänsel und Gretel von der Hexe gestohlen hatten. Und so waren sie wiederum arm und hungrig bis an ihr Lebensende.

Gretel starb eine Woche später elendiglich des Hungers. Hänsel musste nicht verhungern, da der Knabe zuvor von der schwarzen Pest hingerafft wurde. 
Der Holzfäller nahm sich daraufhin mit seiner Axt das Leben. Immerhin hatte er die durchschnittliche Lebenserwartung jener Tage (etwa 30) schon weit überschritten. 
Und wenn sie keine Zombies sind, verrotten sie in der Erde.

ENDE"



OH, WHAT A WORLD! WHAT A WORLD!

Traditionsgemäß wurden Märchen Kindern erzählt - was sich auch in der Titelwahl der Brüder Grimm für ihre Märchensammlung - "Kinder- und Hausmärchen" - wiederspiegelt.
Ist das noch zeitgerecht? Sollte man Kindern der guten alten Tradition zuliebe auch heute noch "Hänsel und Gretel" zum Einschlafen vorlesen?

Sicherlich gibt es heutzutage viele Kunstwerke, die noch sehr viel weniger dazu geeignet sind, kleine Kinder damit in das Reich der Träume zu schicken. Wenn man beispielsweise einen Fünfjährigen zwingt, nachts im Dunkeln alle Teile der "Saw"-Horrorfilmreihe hintereinander anzuschauen, kann der dann eventuell noch schlechter schlafen als nach "Hänsel und Gretel" und liegt die ganze Nacht wach und fragt sich zitternd und ungläubig, warum er in einer Welt leben muss, in der Menschen Geld ausgeben, um freiwillig solche miese Filme zu sehen.

Andererseits folgt das Märchen "Hänsel und Gretel" nicht unbedingt unseren heutigen Regeln für kindgerechte Unterhaltung. Wäre "Hänsel und Gretel" ein klassischer Disney-Kinderzeichentrickfilm, wäre sicherlich einiges anders.
Erst einmal würde die Holzfällerfamilie ihre Kinder entweder unabsichtlich oder durch einen bösen Zauber verlieren - nicht aber kalkuliert dem sicheren Tod übergeben. Es sei denn, es wären nicht die wirklichen Eltern der Kinder, welche Gretel und Hänsel in dem Fall am Ende der Geschichte wiederfinden würden. Wahrscheinlich wären die Kinder die lang verschollenen Nachkommen des Königs und als Säuglinge aufgrund eines bösen Zaubers der Lebkuchenhexe von ihren wahren Eltern getrennt worden.

Auch gilt die Faustregel, dass bei Familienunterhaltung keine Unschuldigen sterben, höchstens als ultimatives Oper oder ähnliches. In keinem Fall sollten allerdings Kinder getötet werden, egal aus welchem Grund.
In der modernen Version würde die Hexe wahrscheinlich nicht elendiglich bei lebendigem Leibe verbrennen, sondern in eine schwarze Wolke verpuffen, oder zu Brei zerschmelzen, damit man sieht, dass die Hexe kein echter Mensch ist, sondern eine Art Dämon. Wahrscheinlich hat die Hexe die Seelen (oder die Lebensenergie oder ähnlichen Quatsch) von den vor Beginn des Märchens gefressenen Kindern als Nebelschwaden oder glühwürmchenartige Lichter in einem Glas gefangen. Und nach dem Hinscheiden der Hexe befreien Hänsel und Gretel die früheren Opfer der Hexe, die dann plötzlich auf magische Weise wieder zum Leben erwachen.

Die Ente, die am Schluss des Märchens auftaucht und die Kinder über das Wasser bringt, sollte ständig freche, sarkastische Sprüche bringen und vielleicht schon seit dem Beginn der Geschichte als Sidekick die spannenden Abenteuer der Märchenkinder begleiten und dabei mit ihrem frechen Mundwerk und ihrer Trotteligkeit für Lacher in der sonst düsteren Story sorgen.

Brauche ich zu erwähnen, dass die Protagonisten alle paar Minuten spontan aber dennoch synchron ein Lied anstimmen und dazu tanzen?

Also, ich würd's mir anschauen...



BABY, BABY, IT'S A WILD WORLD

Das Märchen hat also Elemente, die für moderne, an Kinder gerichtete Werke heute eher tabu sind. Doch werden Kinder durch das Vorlesen des klassischen Märchens von Hänsel und Gretel automatisch später spontan zu Kettensägen schwingenden Massenmördern? Man sollte davon ausgehen.
Okay, vielleicht auch nicht... Trotzdem wäre es ebenso vorschnell anzunehmen, Geschichten, die man seinen Kindern vorliest, hätten nicht den geringsten Einfluss aus sie.

Heutzutage schirmt man gerne Kinder vor der brutalen Realität ab und baut ihnen ein magisches Fantasieland mit ausgedachten Figuren wie dem Weihnachtsmann, dem Osterhasen oder Jesus.
Die Wirklichkeit, vor der die Kleinen beschützt werden sollen ist, dass die Welt nicht perfekt ist, kein Schlaraffenland für jedermann - auch wenn es unseren mittelalterlichen Vorfahren wahrscheinlich so vorgekommen wäre.

Die Kinder, denen im Mittelalter die Geschichte von Hänsel und Gretel vorgelesen wurden, hatten selten ein unbeschwertes Leben und generell wenig Möglichkeiten, sich davon abzulenken. Es gab ja noch kein Internet und kein Fernsehen. Nur Bücher - die aber ziemlich nutzlos sind, zumindest wenn man wie die meisten Leute damals nicht lesen kann.

Hunger, Krankheit und Tod begleiteten unsere Vorfahren wie selbstverständlich in ihrem Alltagsleben von klein auf. Vor unserem Nachwuchs werden solche Dinge oft geheimgehalten.
Verweichlicht man dadurch seine Kinder? Mag sein. Aber sind nicht weiche, mit Cheeseburgern gemästete Kinder in einer friedlichen Gesellschaft besser als abgehärtete Kinder, die niemals etwas anderes als Krieg und Hunger erlebt haben?
Wie wir in "Hänsel und Gretel" lernen ist die Antwort darauf: Definitv! Die dicken Kinder sind tatsächlich viel leckerer!



GOTT SEI DANK

Die moralische Botschaft, die das Märchen "Hänsel und Gretel" eigentlich vermitteln soll, ist wohl, dass Gott den Kindern immer beisteht und ihnen dadurch nichts passiert und sie zum Schluss der Story für ihr Leiden reich belohnt werden. An mehreren Stellen bitten Hänsel und Gretel Gott um Hilfe. Wie im Christentum üblich, ist Gott am Ende für alles Gute persönlich verantwortlich. Ausdrücklich wird beispielsweise erwähnt, dass der Trick, mit dem die Hexe letztendlich besiegt werden kann, nicht von Gretel stammt, sondern ihr von Gott eingegeben wurde.

"Da rief die Alte: „Gretel, komm gleich hierher zu dem Backofen." 
Wie Gretel kam, sagte sie: „Guck hinein, ob das Brot schon hübsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hinein schieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen." 

Wenn aber Gretel darin war, da wollte sie zumachen, Gretel sollte in dem heißen Ofen backen und sie wollte es auch aufessen: Das dachte die böse Hexe und darum hatte sie Gretel gerufen. 

Gott gab es aber dem Mädchen ein, dass es sprach: „Ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, zeige mir es erst und setz dich auf, ich will dich hinein schieben." 

Da setzte sich die Alte auf das Brett und weil sie leicht war, schob Gretel sie hinein, so weit es konnte, dann machte es geschwind die Türe zu und steckte den eisernen Riegel vor."




Logischerweise kann der liebe Gott natürlich nichts für die schlechten Dinge wie verhungernde Kinder oder eine unbehelligt dem Kannibalismus fröhnende Hexe - die, wie es im Märchen eindeutig gesagt wird, vor dem Erscheinen von Hänsel und Gretel bereits mehrere Kinder ermordet und gegessen hat. Was sollte der allmächtige Gott dagegen schon ausrichten?



SWEET CHILD O' MINE

Wenn man die Geschichte mal objektiv betrachtet, vermittelt sie ganz andere moralische Botschaften und die sind nicht unbedingt uneingeschränkt empfehlenswert für kleine Kinder.
Uns wird vermittelt, dass das Töten der Hexe die moralische beste Lösung des Hänsel-und-Gretel-Dilemmas war - von Gott persönlich eingegeben. Aber hätte der Gretel nicht auch eingeben können, irgendwann während der vierwöchigen Gefangenschaft der praktisch blinden Hexe den Schlüssel für Hänsels Käfig zu klauen? Würden die Kinder einfach flüchten, während die Hexe schläft, würde die sie doch niemals wieder finden. Aber Gott weiß: Gewalt ist immer die beste Methode.

Man könnte vielleicht meinen, die Hexe habe ihr grausames Schicksal im Ofen redlich verdient und sollte niemals wieder Kinder fressen dürfen. Aber warum war dies anscheinend bei den Vorgängern von Hänsel und Gretel, die von der Hexe verspeist wurden und über die niemand jemals ein Märchen geschrieben hat, nicht so? Warum hat Gott denen keinen Fluchtplan eingegeben?
Da ich ein weiches Herz habe und Mitleid mit diesen unbesungenen Helden, habe ich selbst ein kleines, zugegeben leicht düsteres Märchen zu ihren Ehren geschrieben.


DAS MÄRCHEN VON HUBERT UND GETRUDE

"Eines Tages wurden zwei Kinder namens Hubert und Gertrude von ihren Eltern im Wald ausgesetzt, da die Familie nichts als ein halbes Laib Brot zu Essen hatten. 
So irrten die Kinder nachts durch den Wald und fürchteten sich. Doch plötzlich kamen sie aber an ein Haus, das war ganz aus Pfefferkuchen. Da ließen sich die beiden nieder, um von dem Haus zu essen.

Während sie so speisten, ward eine Stimme aus dem Häuschen zu hören:
"Knusper- Knusper- Knäuschen
Wer knuspert an meinem Häuschen?"

Die Kinder antworteten:
"Äh... niemand."
Und aßen weiter.

Später kam jedoch eine alte Frau aus dem Häuschen heraus und stellte sich freundlich. Sie lud die Kinder zu einem prächtigen Mahl ein. 
Doch sie war in Wirklichkeit eine hinterlistige Hexe und wollte die Kinder auffressen!

Sie schmeckten der Hexe gar köstlich.

ENDE"







WER HAT DAS HIER AUSGEHECKT? WER HAT WEN HIER SO ERSCHRECKT?
WISST IHR, WER DAHINTER STECKT?

Die vielleicht interessanteste Figur des Märchens ist die Hexe. Obwohl die Hänsel-und-Gretel-Hexe zu den bekanntesten ihres Berufsstandes gehört, besitzt sie keine der typischen Eigenschaften, die wir in der Regel mit dem Begriff "Hexe" verbinden: Sie kann nicht fliegen, weder mit einem Besen, noch mit irgend einem anderen Gegenstand  - okay, außer vielleicht einem Flugzeug.
Auch sonst wendet sie während des gesamten Märchens niemals Magie an und hat auch keine übernatürlich stark ausgeprägten Sinne oder ähnliches, eher im Gegenteil.
Die Frau wird als Hexe bezeichnet, beschrieben aber als eine wahnsinnige, einsame alte Frau, die allein im Wald in einem Pfefferkuchenhaus wohnt und sich von Menschenfleisch ernährt. Vielleicht wäre eine Psychotherapie für die betagte Dame hilfreicher als elendiglich verbrennen, aber ich bin da kein Experte.

Durch die negative Darstellung der Hexe wird aber nicht nur die Reputation der ausgedachten Märchenfigur "Hexe" in den Schmutz gezogen - was ja an sich schon schlimm genug wäre. Echte Menschen mussten deswegen leiden und sterben.

Der Glaube an Menschen mit magischen Kräften ist überall auf der Welt zu allen Zeiten in irgendeiner Form anzutreffen. Als sich vor Jahrhunderten Menschen zum ersten mal das Märchen von Hänsel und Gretel erzählten, glaubten viele davon noch an tatsächliche Hexen.
Die Bibel erwähnt Hexen nur nebenbei in einer ihrer zahlreichen Listen von Leuten, die man töten soll: "Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen" heißt es im Buch Exodus (22:17). Im Kontrast zu dem üblichen Brauchtum der Hexenverbrennung schreibt die Bibel allerdings eigentlich klar die Steinigung als Hinrichtungsmethode vor (Levitikus 20:27).

Die spezifischen Vorstellungen von Hexen als auf Besen reitende, Walpurgisnacht feiernde, in einem satanischen Geheimbund versammelte alte, buckelige Frauen mit Warzen und schwarzen Katzen: - davon ist nichts in der Bibel zu finden. Dieses Hexenbild stammt aus einem mittelalterlichen Volksglauben, den das Märchen von Gretel und Hänsel wiederspiegelt.

Interessanterweise war die Kirche im Mittelalter prinzipiell eher gegen Hexenverfolgungen, da die im Volk beliebten Theorien über Hexen wie gesagt nicht aus der christlichen Mythologie stammen, sondern aus einem deutschen Volksglauben, welcher eventuell Wurzeln in den Mythen der alten germanischen Religion hat.
Um die Hexenverfolgung zu unterbinden, erfand die Kirche Hexenschnelltests. Zum Beispiel warf man Frauen in einen Fluss und schaute, ob sie auf der Wasseroberfläche schweben konnten. Diese Proben waren eine sehr gute Sache für die Frauen, sofern sie tatsächlich keine Hexen waren: Anders als oft dargestellt wurden die Frauen, die untergingen und somit den Test bestanden hatten, auch wieder aus dem Wasser gefischt - und zwar bevor sie ertrunken waren.

Die Kirche war zu dieser Zeit in Hexenangelegenheiten relativ rational und skeptisch, kaum zu glauben. Wenn etwas schief ging, wurden im ungebildeten und abergläubischen Volk Hexen oft als Sündenböcke missbraucht. Doch die weisen Männer der Kirche wussten natürlich, dass Gott zu dem Zweck die Juden erfunden hat.



DIE ZAUBERINNEN SOLLST DU NICHT LEBEN LASSEN

Die Hexenjagd im Mittelalter ging also zunächst nicht von der Kirche aus: Die ließ zwar öfters Juden hinrichten, die prinzipiell an Unglücken wie Missernten oder Seuchen Schuld waren, nicht aber Hexen. Dies änderten sich zum Ende des Mittelalters hin, als die Hexenverfolgungen im großen Maßstab erst richtig begannen und nun von der Kirche unterstützt wurden.



Offensichtlich waren die Hexenprozesse erfolgreich: Die Tatsache, dass es heute keine Hexen gibt, beweist dies ja eindeutig. Doch sie waren auch unvorstellbar grausam: Bevor die Frauen (ab und zu auch Männer) bei lebendigem Leib verbrannt wurden, wurden sie grausam gefoltert. Folter wurde von höchster kirchlicher Stelle nicht nur toleriert, sondern für das einzige verlässliche Mittel zur Wahrheitsfindung gehalten.
Unter Folter wurden dann Geständnisse erpresst und das Nennen von angeblichen Komplizen erzwungen. Tausende Leute starben als Hexen bis weit ins 18. Jahrhundert auf der ganzen Welt. Die allermeisten aber in Deutschland. Von ca. 12.000 bekannten Hexenhinrichtungen sind über 8.000 in Deutschland vollstreckt worden. Dies sind nur allerdings die heute noch erhaltenen dokumentierten Fälle - die Zahl der tatsächlichen Todesopfer dürfte weitaus größer sein.
Warum die Deutschen so besonders brutal vorgegangen sind, kann ich nicht sagen. Vielleicht hatten sie gehofft, den Preis für die furchtbarsten Menschen der Welt zu gewinnen. Das machen sie öfters mal.

Für mich persönlich ist der wahre Horror von Hänsel und Gretel nicht, dass darin eine Hexe in einem Ofen verbrannt wird, sondern vielmehr dass es von Menschen stammt, die im wirklichen Leben Frauen bei lebendigem Leib verbrannt haben.
Das Grausamste daran ist nicht das Fehlen von moralischen Prinzipien, sondern dass diese Leute, während sie andere Menschen gefoltert und ermordet haben, die ganze Zeit felsenfest davon überzeugt waren, die Guten zu sein und ein gerechtes Werk zu tun, die Welt für alle anständigen Bürger und unsere Nachkommen zu einem besseren Ort zu machen und dem lieben Gott zu dienen.
Es gibt wohl kaum etwas Gefährlicheres auf der Welt, als Menschen die für eine "gute Sache" kämpfen und ihre Gewalt als grausam, aber notwendig verteidigen und sie dann in Geschichten  verherrlichen und weiter rechtfertigen. So erfahren ihre noch ihre Nachkommen von ihren Heldentaten und der Gerechtigkeit ihres Anliegens, ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden.

In "Hänsel und Gretel" wird nicht gesagt, warum die Hexe böse ist. Der einzige Grund scheint zu sein, dass sie eine Hexe ist. Hexen sind halt immer so, das weiß doch jedes Kind. Diesem Pack sollte man nie trauen, ganz besonders wenn sie eigentlich total nett zu sein scheint.
Wir lernen: Es gibt einfach Kreaturen, die von Geburt an böse sind und die man auch nicht zum Guten bekehren kann, selbst wenn Gott mit auf deiner Seite ist. Der einzige Weg, mit solchen Wesen umzukehren, ist sie gewaltsam dem gerechten Schicksal des Todes zuzuführen.
Vielleicht sollte man sich nicht fragen, ob man Kindern heutzutage das Märchen von "Hänsel und Gretel" vorlesen sollte - sondern, ob man es überhaupt je einem Kind hätte erzählen sollen.



GENDER BENDER

Aber es war nicht alles schlecht damals bei "Hänsel und Gretel". Positiv fällt zum Beispiel die Rolle der Gretel auf. Zu Beginn des Märchens verhält sie sich ganz so, wie sich ein Mädchen eben so zu verhalten hat: Sie gehorcht unterwürfig den Männern. Und wo bringt sie das hin? Ihr Vater setzt sie im Wald aus; Ihr Bruder versichert ihr, er werde die beiden schon wieder nach Hause bringen, woraufhin er die einzige Nahrung der verlaufenden Kinder verplempert und trotzdem den Weg nicht kennt. Und als die Kinder an das Hexenhaus kommen, ist es Hänsel, der seine Schwester im Befehlston dazu anhält, das Haus sofort aufzuessen, anstatt vorher aus sicherer Entfernung die Lage vernünftig einzuschätzen.

Wie von ihr verlangt hat Gretel sich immer auf Männer verlassen, was ihr einen ungeliebten Job als Sklavin einer kannibalistischen Hexe eingebracht hat. Schließlich ist es Gretel, die ganz allein handeln muss, um ihrem fetten Bruder den Arsch zu retten, der mit seinem Knochen im Käfig sitzt und sich für besonders schlau und unbesiegbar hält.
Auch ist es Gretel und nicht ihr Bruder, die die Ente dazu überredet, die Kinder über das Wasser zu kutschieren.
Letztendlich ist also ein kleines Mädchen der Held der Geschichte - eine willkommene Abweichung von üblichen Geschlechterklischees.

Ebenso verdreht sind die Rollen des Holzfällers und seiner Frau. Klassischerweise werden Frauen als eher emotional und Männer als eher rational dargestellt.
In "Hänsel und Gretel" ist aber der Vater emotionaler und die Mutter trifft die harte Entscheidung, ihre eigenen Kinder wegzuschicken (und in der Originalversion sind es ihre leiblichen Kinder) um nicht zu sterben. Der Vater ist eigentlich dagegen, muss als Mann aber natürlich den Befehlen seiner Frau Folge leisten.
In vielen Märchen lieben Mütter ihre Kinder immer und bedingungslos und würden ihr Leben für sie geben. Oft sind sie aber bereits tot und der Vater ihrer Kinder hat bei der Wahl seiner zweiten Frau ein wenig glückliches Händchen bewiesen und heiratet die stereotype böse Stiefmutter, die ihre Stiefkinder furchtbar behandelt. Aber selbst die liebt ihre eigenen Kinder (siehe z.B. "Aschenputtel" oder "Frau Holle")
In dieser Hinsicht ist die ursprüngliche Fassung von "Hänsel und Gretel" recht außergewöhnlich: Immerhin ist hier das happy end, dass die Mutter endlich gestorben ist...



EIN LAND, DARIN MILCH UND HONIG FLIESST

Für heutige Verhältnisse wirkt "Hänsel und Gretel" vielleicht übertrieben grausam, doch dies wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass seine Erfinder in einer grausameren Periode der Zeitgeschichte als wir wohnten - nämlich der Vergangenheit.
Auf die meisten von uns mag die Vorstellung, dass Eltern ihre Kinder zum Sterben im Wald aussetzen, da sie sie nicht ernähren können, genauso unwirklich und unglaubhaft wirken wie die Existenz einer in einem Lebkuchenhaus wohnenden Hexe.
Doch für viele unserer Vorfahren war Hunger etwas ganz Alltägliches. Besonders schlimm war es bei Missernten wie der großen Hungersnot von 1315-1317. In solchen Ausnahmesituationen kam es durchaus vor, dass Eltern so verzweifelt waren, dass sie ihre Kinder im Wald zurückließen oder sogar verspeisten.

Und so hängt es davon ab, wann man geboren wurde, ob man findet, dass "Hänsel und Gretel" eine grausame Geschichte ist oder nicht. Aus heutiger Sicht erleben Hänsel und Gretel furchtbare, verstörende Dinge, die kein Mensch - und besonders kein Kind - jemals erleben sollte und jeden von uns wahrscheinlich lebenslang traumatisieren würden.
Für damalige Erzähler war "Hänsel und Gretel" eine wahrhaft märchenhafte Story - im Sinne von "zu schön, um wahr zu sein". Schließlich leben Hänsel und Gretel vom Schluss des Märchens bis an ihr Lebensende ohne Hunger.

Die Lektüre des Märchens kann uns dazu dienen, uns einmal bewusst zu machen, wie ungewöhnlich es ist, in einer Gesellschaft zu wohnen, in der die allermeisten Menschen essen können soviel sie wollen und was sie wollen.
Vielleicht sollten wir einen Moment innehalten und uns vor Augen führen, dass wir einer Märchenwelt leben - anders als unsere Vorfahren und viele unserer Zeitgenossen, die das Pech hatten, nicht in der westlichen Welt geboren zu werden. Wenigstens für einen Augenblick, bevor man sich weiter selbst bemitleidet, weil man nicht das neuste Smartphone besitzt, sondern nur die vor-vorletzte Version von vor 3 Monaten. Kinder in Afrika wären froh, wenn sie Telefone zu essen hätten, ganz egal welches Baujahr!

Deutsche Kinder kannten allerdings sehr oft auch Armut und Hunger, wenn sie das Pech hatten, vor den 1950ern geboren worden zu sein - was wir Historiker in Hinblick auf die Länge der gesamten Menschheitsgeschichte in der Fachsprache "meistens" nennen.






[PS:
Noch nicht genug von Hänsel und Gretel? Dann verpasst nicht: "Hänsel&Gretel - Witchhunters 3D", 2013 im Kino!

...

Nein, ich wünschte, es wäre so, aber das ist kein Witz. Hier ist der Trailer...]



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MARIOS MÄRCHENSTUNDE

>>Teil 1: "Fressen und gefressen werden"
 Teil 2: "Sieben auf einen Streich"

19. September 2012

DELETED SCENES (Geschichten aus der Bibel Teil 7)


Die Skandale des jungen Jesus C. - Was die Kirche uns zu verschweigen versucht...




Seit dem Ende des ersten Jahrhunderts tauchten viele, durchweg unautorisierte Biographien eines gewissen J. Christus auf. Erst gegen Ende des 4. Jahrhundert wurde endgültig beschlossen, welche von den zahlreichen Berichten der Wahrheit entsprechen und welche nicht. Es entstand die Zusammenstellung der Texte, die wir als neues Testament kennen.
Vier Evangelien, ursprünglich anonyme Texte, die später die Namen ihrer vermuteten Verfasser Markus, Matthäus, Lukas und Johannes bekamen, wurden aus den zahlreichen Texten ausgewählt. In allen diesen Texten werden Jesus' letzte Lebensmonate beschrieben, die Evangelien von Matthäus und Lukas berichten zusätzlich von den Ereignissen rund um die Geburt Christi.
Doch über die Zeit dazwischen erfahren wir so gut wie nichts aus den vier Evangelien - im Gegensatz zu den gestrichenen Texten, die interessante Geschichten von Jesus' Jugendsünden zu erzählen haben...


YOUR PUNISHMENT MUST BE MORE SEVERE

Eines Tages, so berichtet es das Kindheitsevangelium nach Thomas,  spielt der kleine Jesus mit anderen Kindern an einem Bach. Jesus leitet etwas von dem Wasser ab und baut sich kleine Teiche - bis ein anderer Junge sie mutwillig zerstört. Eine Gemeinheit!

"3 Jesus und der Sohn des Schriftgelehrten Annas spielten zusammen an den Ufern eines Baches. Da nahm der Sohn des Annas einen Weidenzweig und ließ das Wasser aus den kleinen Teichen wieder abfließen, die Jesus angelegt hatte."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 3a)



Der Jesus, den wir kennen, würde ihm diese Schandtat sicherlich verzeihen - nachdem er ihm einen langen, wütenden Vortrag darüber gehalten hat, was für ein schlimmer Sünder er doch sei, versteht sich. Der junge Jesus ist da noch, na sagen wir mal... etwas radikaler.
Er benutzt seine magischen Kräfte, um das Kind zu ermorden.

"Als Jesus das sah, wurde er wütend und schrie ihn an: "Du bist ein gemeines Biest, was haben dir die Teiche und das Wasser getan? Du sollst sofort zu einem Baum verdorren, ohne Blätter, ohne Wurzel, ohne Früchte!" Kaum hatte Jesus das gesagt, da vertrocknete der Junge vollständig. 
Jesus ging dann einfach nach Hause. Doch die Eltern des Jungen hoben ihr verdorrtes Kind auf und weinten, denn es war ja noch so jung. 
Sie brachten es zu Joseph und warfen ihm vor: "Schau mal, was dein Sohn für Sachen macht!""

(Kindheitsevangelium nach Thomas 3b)


Also echt mal, Jesus, was machst du denn für Sachen! Leider hält es Josef nach dem Vorfall nicht für nötig, mal ein Machtwort mit Jesus zu reden. Vielleicht hat er andere Dinge zu tun, als seinen göttlichen Sohn vom Töten unschuldiger Kinder abzubringen - wichtige Zimmermannsarbeiten oder so.
Und so bleibt der kleine Racker Jesus bei seiner Angewohnheit, alle zu ermorden, die ihm auch nur annähernd blöd kommen wollen.
Im nächsten Vers muss ein Junge dran glauben, der ihn aus Versehen anrempelt...

"4 Jesus ging wieder einmal durch das Dorf, als ein Junge angelaufen kam und ihn anrempelte. Er wurde wütend und sagte: "Du sollst deinen Weg nicht weiter gehen!" Sogleich fiel der Junge um und war tot."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 4a)







STRAFE MUSS SEIN

Den Dorfbewohnern dämmert es langsam, dass Jesus kein normales Kind ist. Hätte man vielleicht bereits nach dem ersten Mordwunder bemerken können, aber naja...

"Dorfbewohner, die das mit angesehen hatten, wunderten sich: "Woher kommt dieses Kind nur? Jedes seiner Worte wird ja sofort Wirklichkeit!""

(Kindheitsevangelium nach Thomas 4b)

Wenn man doch schon mal zu dem Schluss gekommen ist, dass Jesus' Worte sofort Wirklichkeit werden, hätte man ihn doch eventuell darum bitten können, die toten Kinder wieder zum Leben zu erwecken, oder?..
Stattdessen statten die besorgten Dorfbewohner Josef erneut einen Besuch ab und versuchen ihn dazu zu bringen, seinem Sohn das Morden auszureden.

"Und die Eltern des toten Jungen liefen zu Joseph. Sie machten ihm Vorwürfe und sagten: "Du kannst mit so einem Kind nicht bei uns im Dorf wohnen. Bring ihm doch lieber bei, zu segnen, anstatt zu verfluchen. Denn er bringt unsere Kinder um!""

(Kindheitsevangelium nach Thomas 4c)


Da muss der Adoptivpapa Josef wohl jetzt doch mal ein ernstes Wörtchen mit seinem Sohn reden und ihm erklären, dass es nicht ganz okay ist, zu morden und seine göttlichen Kräfte für die dunkle Seite der Macht zu missbrauchen.
Doch der kleine Christus zeigt sich nicht besonders einsichtig und lässt spontan die Verräter erblinden, die ihn bei seinem Papa angeschwärzt haben. Als Strafe dafür, dass sie sich über seine spontanen Mordanfälle beschwert haben.

"5 Da rief Joseph seinen Sohn zu sich, nahm ihn sich vor und maßregelte ihn: "Warum tust du so etwas? Die Leute müssen leiden und dann verabscheuen und verfolgen sie uns." Jesus sagte zu ihm: "Ich weiß, dass dies nicht deine Worte sind. Dennoch sage ich lieber nichts, weil du es bist. Diese Menschen aber sollen ihrer Strafe nicht entgehen!" 
Er hatte es kaum gesagt, da erblindeten die Leute, die ihn beschuldigt hatten."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 5a)


Josef kann ihn nicht dazu bewegen, seinen Fluch zurückzuziehen. Obwohl er alles versucht, Jesus anständig zu erziehen!
Gut, vielleicht nicht alles. Eigentlich versucht er nur eine einzige Sache, die pädagogisch lang erprobte
Methode des Ohren-Langziehens.

"Und alle, die es sahen, bekamen große Furcht. Unschlüssigkeit machte sich breit. Sie sagten über Jesus: "Jedes Wort von ihm, ob gut oder böse, wird sofort Wirklichkeit und Wunder." 
Als Joseph wieder einmal sah, dass Jesus so etwas wiederholte, zog er ihm die Ohren lang. 
Doch der wurde böse und sagte: "Es reicht jetzt, dass du suchst und nicht findest. Dein Tun hat keinen Sinn. Das war nicht verständig von dir. Du weißt doch, dass ich zu dir gehöre. Mach mich doch nicht unglücklich."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 5b)



Einige Tage später macht der gnädige Jesus die erblindeten Leute dann aber wieder sehend. Sein Fluch hat seinen Zweck erreicht: Von nun an traut sich keiner, Jesus auch nur schief anzugucken, geschweige denn, ihn zu kritisieren - nun kennen alle die schreckliche Macht des Gottessohns.

"8 Die Juden trösteten Zachäus, aber Jesus lachte laut und sagte: "Jetzt soll das Früchte bringen, was du lehrst. Die Leute, welche blind im Herzen sind, sollen sehen können. Ich bin vom Himmel gekommen, um die einen zu verfluchen und andere in den Himmel zu rufen. Der mich gesandt hat, hat es mir so aufgetragen." Sofort nach dem er es gesagt hatte, waren alle, die unter seinen Fluch gefallen waren, wieder gesund. 
Von da an wagte keiner mehr, ihn zu zornig zu machen, um nicht seinen Fluch auf sich zu ziehen und zum Behinderten zu werden."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 8)



NIMM DAS ZURÜCK!

Nicht nur Menschen bekommen den Zorn von Jesus zu spüren. Eines Tages wird ein Kind von einer Schlage gebissen, was Jesus wütend macht. Es wird nicht genau gesagt, warum - aber wahrscheinlich, weil er und sonst niemand im Dorf für das Kinder-Töten verantwortlich ist.
Jedenfalls zwingt er die Schlange zunächst, ihr eigenes Gift zu trinken.

"14 Da der Herr Jesus die Schlange rief, kam sie sogleich hervor und ergab sich ihm. Er sprach zu ihr: "Los, sauge aus das Gift, welches du diesem Jungen eingeflößt hast."
15 So kroch die Schlange zu dem Jungen und nahm all ihr Gift wieder zurück."

(Erstes Kindheitsevangelium 18:14-15)


Doch damit nicht genug: Obwohl die Schlange nur natürlichen Instinkten gefolgt ist und etwas getan hat, dass Schlangen nun einmal so tun, wird sie danach von Jesus' geistiger Wunderwaffe spontan zum Explodieren genötigt.

"16 Dann verfluchte der Herr Jesus die Schlange, auf dass sie sogleich auseinander barst und starb."

(Erstes Kindheitsevangelium 18:16)





Es vergehen wieder ein paar Tage und schon wieder wird ein Spielgefährte von Jesus tot aufgefunden. Man kann es den Dorfbewohnern nicht verübeln, dass sie sofort Jesus im Verdacht haben. Doch dieses Mal ist er unschuldig, denn der Spielkamerad ist durch einen Unfall gestorben.

"9 Ein paar Tage später spielte Jesus auf dem Dachgarten des Hauses. Einer von seinen Spielgefährten fiel vom Dach herunter und war tot. Die anderen Kinder rannten davon und Jesus stand allein da. Da kamen die Eltern des toten Kindes und klagten Jesus an.
Der sagte: "Ich habe ihn wirklich nicht hinuntergeworfen."
Die Eltern fingen an, tätlich zu werden."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 9a)


Da Jesus nicht gerne des Mordes bezichtigt wird, ganz besonders wenn er ihn zur Abwechslung gar nicht begangen hat, erweckt er das tote Kind wieder zum Leben, damit er einen Zeugen für seine Unschuld hat.

"Da sprang Jesus vom Dach herab und stellte sich neben den toten Jungen auf. Er rief: "Zenon!", so hieß der Junge, "Steh auf und erkläre uns, ob ich dich hinuntergeworfen habe oder nicht?" Der Junge stand auf und sagte: "Nein, Herr, du hast mich nicht hinuntergeworfen, sondern mich wieder auf die Beine gestellt." 
Als die Leute das sahen, erschraken sie. Die Eltern des Kindes vielen vor Jesus auf die Knie und lobten Gott für das geschehene Wunder."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 9b)


Die Eltern haben den kleinen Jesus diesmal zu Unrecht beschuldigt. Hätten sie es allerdings nicht getan, hätte Jesus ihren Sohn auch nicht wiedererweckt...

Jesus benutzt also seine Zauberkräfte hier immer noch für egoistische Zwecke, aber diesmal hat dies mal positive Konsequenzen.
Später heilt er eine schwere Verletzung eines Holzhackers, der sich mit seiner Axt seinen Fuß gespalten hat. Man könnte nun denken, Jesus habe nach kleinen Anfangsschwierigkeiten, die zwei Kinder das Leben gekostet haben, nun endlich gelernt, seine magischen Fähigkeiten für das Gute einzusetzen. Doch die Tage des Verfluchens sind noch nicht gezählt...



TEACHER, LEAVE US KIDS ALONE!

Das nächste Opfer ist Jesus' Lehrer. Es ist bereits der zweite in kürzester Zeit, da der erste gleich am allerersten Tag von der klugscheißerischen Art des jungen Messias die Schnauze voll hatte. Der neue Lehrer versucht es mit körperlichen Züchtigung statt mit der Methode "sofort aufgeben". Damit ist er allerdings schlecht beraten.

"Später sagte Jesus: "Wenn du wirklich Lehrer bist und die Buchstaben genau kennst, dann erkläre mir etwas über die Bedeutung des Alpha. Danach erkläre ich dir dann das Beta."
Der Lehrer war verletzt und gab Jesus eine Ohrfeige. Da das dem Jungen wehtat, verfluchte er den Lehrer. Der wurde sofort ohnmächtig und fiel auf sein Gesicht. Und Jesus ging wieder nach Hause zu Joseph. Der aber war traurig. Damit die Leute Jesus nicht töteten, ordnete Josef an, dass seine Mutter in nicht mehr vor die Tür lassen sollte.

(Kindheitsevangelium nach Thomas 14b)


Vom Fluch getroffen fällt der Lehrer in Ohnmacht und bleibt bis auf weiteres ohne Bewusstsein.
Ein dritter Lehrer beweist eine Zeit später Nerven wie Drahtseile und erklärt sich bereit, einen weiteren Versuch zu unternehmen, das enfant terrible zu unterrichten.

"15 Eine Zeit später sagte ein anderer Lehrer, ein Freund Josephs: "Bring mir den Jungen in die Schule. Vielleicht kann ich ihm mit guten, liebevollen Worten die Buchstaben beibringen." 
Joseph sagte dann: "Wenn du den Mut hast, Bruder, dann nimm ihn zu dir." 
Mit großer Angst und widerwillig nahm der Lehrer ihn mit."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 15a)

Der tapfere Lehrer möchte es mit freundlichen Worten statt Gewalt versuchen, scheitert aber ebenfalls. Denn Jesus übernimmt ungefragt seine Rolle und führt den Unterricht. Er ist zwar sehr gut darin, allerdings benutzt er unerlaubte Hilfsmittel, nämlich den heiligen Geist. Da der ja alles weiß, ist das in etwa so, als würde heutzutage ein Schüler sich mit Wissen vor der Klasse hervortun, dass er gerade aus dem Internet von seinem Smartphone abliest.

"Jesus aber ging gern mit ihm. Keck betrat er die Schule. Auf dem Tisch lag ein Buch, das er in die Hand nahm, aber er las nicht die Buchstaben, die darin standen, sondern machte den Mund auf und lehrte mit der Kraft des Heiligen Geistes."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 15b)


Als Josef davon erfährt, dass Jesus sich wieder aufspielt, rennt er zur Schule. Er fürchtet, dem Lehrer drohe wohl auch ein Koma oder Schlimmeres, falls er Jesus in die Quere kommt.

"Den Zuhörenden erläuterte er das Gesetz. Viele Menschen strömten zusammen und hörten ihm zu. Sie wunderten sich, weil seine Worte so schön anzuhören waren und staunten über seine Redekunst, weil er doch noch ein Kind war. Als aber Joseph das hörte, war er sehr besorgt und lief schnell zur Schule, da er ahnte, dass auch diesem Lehrer Schlimmes geschehen könnte."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 15c)

Dem Lehrer geht es aber gut. Er bewundert Jesus für seine Fähigkeiten, möchte ihn aber trotzdem nicht in seiner Klasse haben. Da Jesus gern hört, wie schlau er doch ist, verflucht er diesen Lehrer nicht und macht den vorherigen Fluch rückgängig.

"Doch dieser sagte zu Joseph: "Ich muss dir was sagen, Bruder. Ich habe diesen Jungen als Schüler angenommen und er ist sehr talentiert und wirklich gescheit. Trotzdem bitte ich dich, Bruder, nimm ihn wieder mit zu dir." 
Jesus lachte den Lehrer an und sagte: "Weil du recht geredet und wahres Zeugnis abgelegt hast, soll der andere Lehrer, den ich verflucht habe, geheilt werden." 
Augenblicklich wurde der andere Lehrer geheilt. Joseph nahm das Kind wieder mit in sein Haus."

(Kindheitsevangelium nach Thomas 15d)



IMAGINE

Von nun an benutzt Jesus seine magischen Fähigkeiten nur noch für gute Dinge, wie Leute wieder vom Tode zu erwecken (Kindheitsevangelium nach Thomas 17,18) - allerdings nicht die beiden, die er anfangs ermordet hatte. Außerdem hilft er seinem Vater, als dieser sich nicht allzu kompetent für den Zimmermannsberuf herausstellt und bei der Konstruktion eines Bettes daran scheitert, dass nicht alle Holzstücke die gleiche Länge haben.

"8 Jesus sein Vater war Zimmermann und stellte zu jener Zeit Pflüge und Joche her. Nun erhielt er von einem Reichen den Auftrag, für ihn ein Bett anzufertigen. 
Da aber das eine Brett kürzer war als das Gegenstück und Joseph nicht wusste, was er tun sollte, sprach der Knabe Jesus zu seinem Vater Josef: "Lege die beiden Hölzer nieder und mach sie von der Mitte her auf der einen Seite gleich." 
Und Joseph tat, wie es ihm der Junge gesagt hatte.  Jesus aber trat an die andere Seite, fasste das kürzere Holzstück an, streckte es und machte es dem anderen gleich. 
Und sein Vater Josef sah es und staunte und er umarmte das Kind und küsste es. Dabei sagte er: "Glückselig bin ich, dass mit Gott diesen Knaben geschenkt hat.""

(Kindheitsevangelium nach Thomas 8)


Da doch prinzipiell alle verstanden haben, dass alles, was Jesus spricht, Wirklichkeit wird, und seine Zauberkräfte keine Grenzen haben - angesichts dessen sind Jesus' Wundertaten erstaunlich fantasielos.
Wenn es moralisch vertretbar ist, Wunder zum eigenen Vorteil zu nutzen, hätte Jesus doch beispielsweise Josefs Aufträge für das ganze Jahr fertig hexen können, anstatt nur ein einzelnes Stück Holz länger zu machen.

Der gesamten Menschheit hätte Jesus mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten auch sehr viel mehr helfen können. Anstatt beispielsweise ein paar wenige Kinder aus seinem Heimatdorf vom Tode wiederzuerwecken, hätte er sich wünschen können, dass niemals mehr ein Kind stirbt. Statt ein paar Leute über Gott aufzuklären, wenn er zufällig gerade eine Rede in der Schule hält, könnte Jesus alle Lehrer dieser Welt mit diesem Wissen ausstatten. Statt nur ein einzelnes Kind von einem Schlangenbiss zu heilen, könnte er jeden Menschen gegen jedes Gift der Welt immun machen, oder sie gleich körperlich völlig unverwundbar machen.
Wahrscheinlich fallen jedem, der eine Weile darüber nachdenkt, noch viele weitere Beispiele dafür ein, wie man Allmacht effektiver nutzen könnte als es angeblich der allwissende Sohn des Schöpfers des Universum getan hat.

In den offiziellen Evangelien der Bibel ist das natürlich anders und Jesus tut nur noch Dinge, die der gesamten Menschheit extrem viel nützen! Wie Wasser in Wein verwandeln, einen Feigenbaum verfluchen, über Wasser laufen... Äh, streichen Sie bitte den letzten Absatz, Frau Gerichtsschreiberin.

(Ich habe gerade bemerkt, dass ich gar nicht vor Gericht bin und daher nur laut mit selbst geredet habe. Darum gucken die Leute hier im Park mich so seltsam an, als wäre ich verrückt! Gut, dann bleibt der Absatz halt stehen.)



DUNGEONS AND DRAGONS

Die von der Kirche abgelehnten Evangelien erzählen nicht nur zusätzliche Geschichten aus Jesus' Leben, sondern erweitern auch aus der Bibel bekannte Geschichten um interessante Details. So erfahren wir beispielsweise, dass Maria erst im reifen Alter von zwölf Jahren von Gott geschwängert wird (Protoevangelium nach Jakobus 9).

Nach Jesu Geburt muss die sehr junge Familie von Jesus nach Ägypten fliehen, da Herodes es auf das Leben des Christkindes abgesehen hat. Dies berichtet auch das Matthäus-Evangelium. Was wir darin nicht erfahren, ist eine spannende Episode, die während dieser Flucht passiert. In einer Höhle trifft die Familie Christus nämlich auf eine Horde von Drachen. Oder Rudel, Schwarm, wie auch immer man das bei Drachen nennt, ich hab im Biologieunterricht nicht so gut aufgepasst.

"In der Begleitung Josefs waren drei Knaben
und bei Maria ein Mädchen, die die Reise mitmachten.
Und siehe, plötzlich kamen aus der Höhle viele Drachen,
vor deren Anblick die Kinder vor bangem Entsetzen laut aufschrien."

(Pseudo-Matthäusevangelium 18:1b)



Durch ein sehr glücklichen Zufall gehören die Drachen zu den sehr frühen Anhängern des christlichen Glaubens und tun der Reisegruppe daher nichts.

"Da stieg Jesus vom Schoß seiner Mutter herab
und stellte sich vor den Drachen auf seine Füße.
Sie aber fielen huldigend vor ihm nieder,
und nach dieser Huldigung entfernten sie sich."

(Pseudo-Matthäusevangelium 18:1c)






YOU'RE THE BEST, AROUND, NOTHING'S GONNA EVER KEEP YOU DOWN

Die abgelehnten Evangelien erzählen nicht nur Neues über Jesus, sondern auch über andere wichtige Figuren des neuen Testaments. Viele berichten beispielsweise von der Geburt und Jugend von Jesus' Mutter Maria. Aber auch die Jünger werden detaillierter und manchmal völlig anders als in den etablierten Geschichten beschrieben.
So ist der Jünger Thomas in der Bibel hauptsächlich für seine Ignoranz bekannt. Er wollte zunächst nicht daran glauben, dass Jesus auferstanden ist und wurde erst dadurch überzeugt, dass er seine Hände in die Wunden Christi legte (Johannes 20:24-29).
Im Thomasevangelium ist er allerdings bereits vor der Kreuzigung der einzige Jünger, der Jesus wirklich verstanden hat.

"13 Jesus sprach zu seinen Jüngern: Vergleicht mich, sagt mir, wem ich gleiche. 
Simon Petrus sprach zu ihm: Du gleichst einem gerechten Engel. 
Matthäus sprach zu ihm: Du gleichst einem weisen Philosophen. 
Thomas sprach zu ihm: Meister, mein Mund wird es absolut nicht zulassen, dass ich sage, wem du gleichst. 
Jesus sprach: Ich bin nicht dein Meister, denn du hast dich berauscht an der sprudelnden Quelle, die ich hervorströmen ließ. 
Und er nahm ihn und zog sich zurück und sagte ihm drei Worte. 
Als Thomas aber zu seinen Gefährten zurückgekehrt war, fragten sie ihn: Was hat dir Jesus gesagt?
Thomas sprach zu ihnen: Wenn ich euch eines der Worte sage, die er mir gesagt hat, werdet ihr Steine nehmen und sie gegen mich werfen, und ein Feuer wird aus den Steinen hervorkommen und euch verbrennen."

(Thomasevangelium 13)





Auch der Ruf des Jüngers Judas wird in einem der nichtbiblischen Evangelium wiederhergestellt - nicht überraschendweise im Judasevangelium. Dort ist Judas der Lieblingsjünger von Jesus und verrät ihn auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin an die Römer, da die Kreuzigung und Auferstehung Teil des göttlichen Plans sind. In einem Privatgespräch über alle in Christus' Namen Getauften vertraut Jesus Judas folgendes an:

"Doch du wirst sie alle übertreffen; denn du wirst den Mann opfern, der mich kleidet."

(Judasevangelium)




HÖLZENER DIALOG

Auch eine Figur, die zwar universelles Symbol für das Christentum geworden ist, in der Bibel aber keine Sprechrolle hat, bekommt ihren großen Auftritt. Im Petrusevangelium dient das Kreuz nicht nur als Todesintrument, es kann auch sprechen und laufen...

"37 Jener Stein, der vor den Eingang des Grabes gelegt war, geriet von selbst ins Rollen und wich zur Seite, und das Grab öffnete sich, und beide Jünglinge traten ein.
38 Als nun jene Soldaten dies sahen, weckten sie den Hauptmann und die Ältesten - auch diese waren nämlich bei der Wache zugegen.
39 Und während sie erzählten, was sie gesehen hatten, sehen sie wiederum drei Männer aus dem Grabe herauskommen und die zwei den einen stützen und ein Kreuz ihnen folgen 
40 und das Haupt der zwei bis zum Himmel reichen, dasjenige des von ihnen an der Hand Geführten aber die Himmel überragen.
41 Und sie hörten eine Stimme aus den Himmeln rufen: "Hast du den Entschlafenen gepredigt?",
42 und es wurde vom Kreuze her die Antwort laut: "Ja.""

(Petrusevangelium 37-42)


Gut, dass Kreuz sagt nur ein einziges Wort, aber das ist immerhin mehr, als die meisten laufenden Kreuze können. Nehm' ich mal an, wie gesagt, ich hab im Biologieunterricht nicht so gut aufgepasst.

Das mag alles recht merkwürdig klingen. Aber es sind ja alles nur erdachte Geschichten, sonst wären sie ja mit in die Bibel aufgenommen worden, wo die tatsächlichen historischen Begebenheiten nachzulesen sind.
Dort steht natürlich nichts von einem sprechenden Kreuz. Nur dass Gott in Menschform gestorben ist, um den Menschen von der Sünde zu befreien, die entstand,  als eine sprechende Schlage die zwei Urmenschen Adam und Eva, von dem jeder einzelne Mensch abstammt, davon überzeugt hatte, eine magische Frucht zu essen (Römer 5:18). Ach ja, und während der Kreuzigung sind tote Heilige als Zombies aus ihren Gräber gestiegen sind und in Jerusalem herumspaziert (Matthäus 27:52-53)
Alles andere wäre ja auch lächerlich!

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Teil 6: "Bonus-Material"
>>Teil 7: "Deleted Scenes"



30. August 2012

ICH LES' DIR DEN LEVITIKUS! [REPOST]


Damit der Mensch sich nicht dauernd darüber Gedanken machen muss, was falsch und richtig ist, welches Tier rein ist und welches nicht, und wie man überhaupt leben sollte, hat der HERR uns eine Reihe von Gesetzen mit auf den Weg gegeben.
Viele Regeln, an die sich fromme Christen und Juden halten müssen, sind im dritten Buch Mose, Levitikus genannt, versammelt.
Diesen Willen des lieben Gottes will ich euch, liebe Kinder, nun einmal vorstellen.


OPFA!

Damit der HERR gute Laune behält, muss man ihm ab und zu ein Schaf oder eine Ziege opfern. Keine Ahnung, was Gott daran findet, aber es scheint wichtig zu sein, immerhin handeln die ersten sieben Kapitel des Buches Levitkus von den diversen Bestimmungen für Sünd- und Brandopfer.
Das Standard-Ritual für die Sünde des einfachen Mann ist dieses:

"27 Wenn aber eine Seele vom gemeinen Volk etwas versieht und sündigt, daß sie wider irgend eines der Gebote des HERRN tut, was sie nicht tun sollte, und sich also verschuldet, 
28 und ihrer Sünde innewird, die sie getan hat, die soll zum Opfer eine Ziege bringen ohne Fehl für die Sünde, die sie getan hat, 
29 und soll ihre Hand auf des Sündopfers Haupt legen und es schlachten an der Stätte des Brandopfers.   
30 Und der Priester soll von dem Blut mit seinem Finger nehmen und auf die Hörner des Altars des Brandopfers tun und alles andere Blut an des Altars Boden gießen.
31 All sein Fett aber soll er abreißen, wie er das Fett des Dankopfers abgerissen hat, und soll's anzünden auf dem Altar zum süßen Geruch dem HERRN. Und soll also der Priester sie versöhnen, so wird's ihr vergeben."

(Levitikus 4:27-31)




Was haben wir bisher gelernt über unseren Schöpfer? Er mag seinen Altar blutbesudelt. Was er verständlicherweise gar nicht mag, sind Menschen, die sich an seinem Fett vergreifen!
Denn es geschrieben im heiligen Buche:

"25 Denn wer das Fett ißt von dem Vieh, davon man dem HERRN Opfer bringt, dieselbe Seele soll ausgerottet werde von ihrem Volk."

(Levitikus 7:25)



Wer vom vielen Opfern hungrig geworden ist, und vorhat, sich an der Imbissbude um die Ecke ein leckeres Schweineschnitzel oder einen Shrimp-Cocktail zu holen, der sollte wissen, dass dies ein Gräuel in den Augen des HERRN ist - und man daher mit dem Opfern wieder von vorne beginnen muss.



REIN ODER NICHT REIN, DAS IST HIER DIE FRAGE

Denn Gott hat alle Tiere für uns in zwei Kategorien geteilt hat: Rein und Unrein. Es folgen Gottes total einfache und logische Gesetze für unsere Speisekarte. Wer das Ganze auswendig kann, bekommt von mir ein Bier von einem Discounter eurer Wahl spendiert...

"1  Und der HERR redete mit Mose und Aaron und sprach zu ihnen:
2 Redet mit den Kindern Israel und sprecht: Das sind die Tiere, die ihr essen sollt unter allen Tieren auf Erden.
3 Alles, was die Klauen spaltet und wiederkäut unter den Tieren, das sollt ihr essen."

(Levitikus 11:1-3)


Das mit den gespaltenen Klauen und dem Wiederkäuen wirkt etwas willkürlich und es wird auch nicht weiter ausgeführt, inwiefern diese Eigenschaften dazu führen, dass ein Tier unrein wird. Aber die Regel ist wenigstens nicht allzu kompliziert...
Was, es geht noch weiter?

"4 Was aber wiederkäut und hat Klauen und spaltet sie doch nicht, wie das Kamel, das ist euch unrein, und ihr sollt's nicht essen.
5 Die Kaninchen wiederkäuen wohl, aber sie spalten die Klauen nicht; darum sind sie unrein.
6 Der Hase wiederkäut auch, aber er spaltet die Klauen nicht; darum ist er euch unrein.
7 Und ein Schwein spaltet wohl die Klauen, aber es wiederkäut nicht; darum soll's euch unrein sein.
8 Von dieser Fleisch sollt ihr nicht essen noch ihr Aas anrühren; denn sie sind euch unrein."

(Levitikus 11:4-8)


Schweine sind vielleicht nicht "rein", dafür aber sehr lecker. Das sollte doch auch was gelten, oder? Nicht? Na gut..


"9 Dies sollt ihr essen unter dem, was in Wassern ist: alles, was Floßfedern und Schuppen hat in Wassern, im Meer und in Bächen, sollt ihr essen.
10 Alles aber, was nicht Floßfedern und Schuppen hat im Meer und in Bächen, unter allem, was sich regt in Wassern, und allem, was lebt im Wasser, soll euch eine Scheu sein
11 daß ihr von ihrem Fleisch nicht eßt und vor ihrem Aas euch scheut.
12 Denn alles, was nicht Floßfedern und Schuppen hat in Wassern, sollt ihr scheuen."

(Levitikus 11:9-12)


Hummer, Muscheln und Meeresfrüchte sind also auch tabu, erfahren wir durch Gottes extrem umständliche Formulierungen. Denn sie sind verboten. Weil man sie nicht essen darf. Da sie eine Scheu sind.
Bei soviel unnötigen Füllmaterial sollte man denken, dass Gott nichts mehr einfällt. Doch leider ist er noch längst nicht fertig.

"13 Und dies sollt ihr scheuen unter den Vögeln, daß ihr's nicht eßt: den Adler, den Habicht, den Fischaar,
14 den Geier, den Weih, und was seine Art ist,
15 und alle Raben mit ihrer Art,
16 den Strauß, die Nachteule, den Kuckuck, den Sperber mit seiner Art,
17 das Käuzlein, den Schwan, den Uhu,
18 die Fledermaus, die Rohrdommel,"

(Levitikus 11:13-18)


Wir lernen: Die Fledermaus ist entgegen weit verbreiteten Gerüchten kein Säugetier, sondern ein Vogel.


"19 den Storch, den Reiher, den Häher mit seiner Art, den Wiedehopf und die Schwalbe.
20 Alles auch, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier Füßen, das soll euch eine Scheu sein."

(Levitikus 11:19-20)


Okay, diese Vorschrift ist leicht einzuhalten: Ein solches Tier existiert nämlich nicht.
Aber natürlich hat Gott, der Allwissende, das gewusst. Er wollte nur mal testen, ob wir noch aufpassen.


"21 Doch das sollt ihr essen von allem, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier Füßen: was noch zwei Beine hat, womit es auf Erden hüpft;
22 von demselben mögt ihr essen die Heuschrecken, als da ist: Arbe Vier verschiedene Arten von Heuschrecken mit seiner Art und Solam Vier verschiedene Arten von Heuschrecken mit seiner Art und Hargol Vier verschiedene Arten von Heuschrecken mit seiner Art und Hagab Vier verschiedene Arten von Heuschrecken mit seiner Art."

(Levitikus 11:21-22)


Heuschrecken essen ist also erlaubt, wer hätte das gedacht?
So, endlich fertig, Gott?

"23 Aber alles, was sonst Flügel und vier Füße hat, soll euch eine Scheu sein,
24 und sollt sie unrein achten. Wer solcher Aas anrührt, der wird unrein sein bis auf den Abend."

(Levitikus 11:23-24)


Ja, ja, das hatten wir doch schon, solche Tiere gibt es nicht. Können wir jetzt Schluss...
Oh, okay, es geht noch weiter. Wunderbar.

"25 Und wer dieser Aase eines tragen wird, soll seine Kleider waschen und wird unrein sein bis auf den Abend.
26 Darum alles Getier, das Klauen hat und spaltet sie nicht und wiederkäuet nicht, das soll euch unrein sein.
27 Und alles, was auf Tatzen geht unter den Tieren, die auf vier Füßen gehen, soll euch unrein sein; wer ihr Aas anrührt, wird unrein sein bis auf den Abend."

(Levitikus 11:25-27)


Na ja, dann essen wir die Viecher halt fünf Minuten vor dem Abend, um nicht den ganzen Tag unrein herumlaufen zu müssen. War's das? Ich hab jetzt nämlich wirklich keinen Bock...

"28 Und wer ihr Aas trägt, soll seine Kleider waschen und unrein sein bis auf den Abend; denn solche sind euch unrein.
29 Diese sollen euch auch unrein sein unter den Tieren, die auf Erden kriechen: das Wiesel, die Maus, die Kröte, ein jegliches mit seiner Art,
30 der Igel, der Molch, die Eidechse, die Blindschleiche und der Maulwurf;
31 die sind euch unrein unter allem, was da kriecht; wer ihr Aas anrührt, der wird unrein sein bis auf den Abend."

(Levitikus 11:28-31)


Gott hasst Menschen mit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom....

"40 Was auf Erden schleicht, das soll euch eine Scheu sein, und man soll's nicht essen.
41 Alles, was auf dem Bauch kriecht, und alles, was auf vier oder mehr Füßen geht, unter allem, was auf Erden schleicht, sollt ihr nicht essen; denn es soll euch eine Scheu sein.
42 Macht eure Seelen nicht zum Scheusal und verunreinigt euch nicht an ihnen, daß ihr euch besudelt."

(Levitikus 11:40-42)




Igitt! Unreine Tiere: Kamel und Eule 



Mmmmh, lecker! Reine Tiere: Anglerfisch und Heuschrecke


Jetzt hab ich keinen Hunger mehr. Vielen Dank, Gott, du Arsch!




HERRGOTT, SAKRAMENT!

Oh, nein, da ist mir doch glatt ein Fluch gegen Gott herausgerutscht! Gut, dass ihr nicht wisst, wo ich wohne und wo mein Auto steht - sonst wäre es eure Pflicht als gute Christen, mich aufzusuchen, um mich umzubringen.

"16 Welcher des HERRN Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen."

(Levitikus 18:16)


Zum Glück bestraft Gott nur persönliche Beleidigungen so hart. Bei normalen Alltags-Flüchen gegen Menschen reicht es aus, sich von irgendwo her ein Schaf zu besorgen und es dem HERRN zur Besänftigung zu opfern.

"4 Oder wenn jemand schwört, daß ihm aus dem Mund entfährt, Schaden oder Gutes zu tun (wie denn einem Menschen ein Schwur entfahren mag, ehe er's bedächte), und wird's inne, der hat sich an der einem verschuldet.
5 Wenn's nun geschieht, daß er sich an einem verschuldet und bekennt, daß er daran gesündigt hat,
6 so soll er für seine Schuld dieser seiner Sünde, die er getan hat, dem HERRN bringen von der Herde eine Schaf- oder Ziegenmutter zum Sündopfer, so soll ihm der Priester seine Sünden versöhnen."

(Levitikus 5:1,5-6)

Gott ist eben ein liebender Vater, der seine Kinder dazu erzieht, sich gegenseitig respektvoll zu behandeln. Oder zu töten, falls sie über den Vater im Himmel lästern.
Wie heißt es doch so schön: Der Klügere mordet!

Alternativ kann man auch Tauben opfern. Wo soll man in der Großstadt auch mal eben ein Schaf auftreiben?

"7 Vermag er aber nicht ein Schaf, so bringe er dem HERRN für seine Schuld, die er getan hat, zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben, die erste zum Sündopfer, die andere zum Brandopfer, 
8 und bringe sie dem Priester. Der soll die erste zum Sündopfer machen, und ihr den Kopf abkneipen hinter dem Genick, und nicht abbrechen; 
9 und sprenge mit dem Blut des Sündopfers an die Seite des Altars, und lasse das übrige Blut ausbluten an des Altars Boden."

(Levitikus 5:7-9)



Klingt etwas seltsam. Aber wenn Gott das so will, wird das bestimmt seine Richtigkeit haben...
Und auch wenn nicht, sollte man es dennoch tun.



KYRIE ELEISON

Denn sonst...

"14 Werdet ihr mir aber nicht gehorchen und nicht tun diese Gebote alle
15 und werdet meine Satzungen verachten und eure Seele wird meine Rechte verwerfen, daß ihr nicht tut alle meine Gebote, und werdet meinen Bund brechen,
16 so will ich euch auch solches tun: ich will euch heimsuchen mit Schrecken, Darre und Fieber, daß euch die Angesichter verfallen und der Leib verschmachte; ihr sollt umsonst euren Samen säen, und eure Feinde sollen ihn essen"

(Levitikus 26:14-16)


Gott macht uns erstmal krank. Dass wir unserem Samen kostenlos erhalten, klingt erst einmal gut, nützt aber nichts, da er ja sowieso von unseren Feinden gefressen wird. Anscheinend sind unsere Feinde Vögel.


"17 und ich will mein Antlitz wider euch stellen, und sollt geschlagen werden vor euren Feinden; und die euch hassen, sollen über euch herrschen, und sollt fliehen, da euch niemand jagt.
18 So ihr aber über das noch nicht mir gehorcht, so will ich's noch siebenmal mehr machen, euch zu strafen um eure Sünden,
19 daß ich euren Stolz und eure Halsstarrigkeit breche; und will euren Himmel wie Eisen und eure Erde wie Erz machen."

(Levitikus 26:17-19)


Ein Himmel wie Eisen? Keine Ahnung, was das heißen mag, aber ich würde mal schätzen, dass es nichts Gutes ist.


"20 Und eure Mühe und Arbeit soll verloren sein, daß euer Land sein Gewächs nicht gebe und die Bäume des Landes ihre Früchte nicht bringen."

(Levitikus 26:20)


Na, logisch, unsere gefiederten Feinde haben ja den Samen gefressen!
Glück gehabt: Gott scheinen jetzt schon die Ideen für seine Strafen auszugehen. Die waren bisher schon recht drastisch, aber alle umkehrbar.

Es ist ja nicht so, als würde der liebe Gott, keine Ahnung, wilde Tiere schicken, die unsere Kinder fressen oder so!

"22 und will wilde Tiere unter euch senden, die sollen eure Kinder fressen und euer Vieh zerreißen und euer weniger machen, und eure Straßen sollen wüst werden."

(Levitikus 26:22)




UM GOTTES WILLEN!

"23 Werdet ihr euch aber damit noch nicht von mir züchtigen lassen und mir entgegen wandeln,
24 so will ich euch auch entgegen wandeln und will euch noch siebenmal mehr schlagen um eurer Sünden willen
25 und will ein Racheschwert über euch bringen, das meinen Bund rächen soll. Und ob ihr euch in eure Städte versammelt, will ich doch die Pestilenz unter euch senden und will euch in eurer Feinde Hände geben."

(Levitikus 26:23-25)


Au weia, das klingt gar nicht gut...
War's das endlich? Nein?..

"26 Dann will ich euch den Vorrat des Brots verderben, daß zehn Weiber sollen in einem Ofen backen, und euer Brot soll man mit Gewicht auswägen, und wenn ihr esset, sollt ihr nicht satt werden.
27 Werdet ihr aber dadurch mir noch nicht gehorchen und mir entgegen wandeln,
28 so will ich euch im Grimm entgegen wandeln und will euch siebenmal mehr strafen um eure Sünden,
29 daß ihr sollt eurer Söhne und Töchter Fleisch essen."

(Levitikus 26:26-29)


Da werden die Kinder aber sauer sein, wenn man ihnen ihre Steaks stibitzt!
(Ich tu jetzt mal so, als wäre das gemeint, denn jemanden zu zwingen, die Leichen seiner Kinder zu essen, ist eine Sache, wozu selbst mir keine blöden Witze mehr einfallen.)


"30 Und will eure Höhen vertilgen und eure Sonnensäulen ausrotten und will eure Leichname auf eure Götzen werfen, und meine Seele wird an euch Ekel haben.
31 Und will eure Städte einreißen und will euren süßen Geruch nicht riechen.
32 Also will ich das Land wüst machen, daß eure Feinde, so darin wohnen, sich davor entsetzen werden.
33 Euch aber will ich unter die Heiden streuen, und das Schwert ausziehen hinter euch her, daß euer Land soll wüst sein und eure Städte verstört."

(Levitikus 26:30-33)


Und wenn wir durch dieses Schicksal, das schlimmer als der Tod ist, noch immer nicht wahnsinnig geworden sind, sorgt der HERR auch noch dafür.

"36
Und denen, die von euch übrigbleiben will ich ein feiges Herz machen in ihrer Feinde Land, daß sie soll ein rauschend Blatt jagen, und soll fliehen davor, als jage sie ein Schwert, und fallen, da sie niemand jagt.
37 Und soll einer über den andern hinfallen, gleich als vor dem Schwert, da sie doch niemand jagt; und ihr sollt euch nicht auflehnen dürfen wider eure Feinde
38 Und ihr sollt umkommen unter den Heiden, und eurer Feinde Land soll euch fressen."

(Levitikus 26:14-16)


So, liebe Kinder, das war's für heute mit unserer frommen Bibelstunde. Jetzt wird es aber höchste Zeit für die Heia! Süße Träume euch allen...


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GOTTES GESETZE

"Top Ten" (oder: Die Zehn Gebote)"
"Die echten zehn Gebote (oder: Warum sich niemand daran hält)"
"Du sollst nicht... oder doch?"