24. Februar 2013

SIEBEN AUF EINEN STREICH (Marios Märchenstunde Teil 2)


[Teil 1]

Heutzutage haben die meisten Kinder dank Youtube und Co. eine Aufmerksamkeitsspanne von maximal 3 Minuten. (Viele vor dem Gesetz erwachsene Menschen allerdings auch.) 
Eltern haben außerdem oft keine Zeit und vor allem keinen Bock, sich allzu lange mit ihrem Nachwuchs zu beschäftigen.

Damit das auch so bleibt, stelle ich euch hier sieben kurze Märchen aus den "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm vor, die - sofern sie effektvoll vorgetragen werden - den kleinen Hosenscheißern in der Regel wenig Lust auf mehr machen.




#1

I'VE GOT THE KEY, I'VE GOT THE SECRET

["Blaubart",
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", nur in der ersten Auflage von 1812]


Es war einmal ein Mann, der mit seiner Tochter und seinen drei Söhnen in einem Wald wohnte.
Eines Tages kommt ein König mit einem furchterregenden blauen Bart unerwartet zu Besuch und bittet ihn spontan um die Hand seiner Tochter. Der Mann ist überglücklich und willigt ein. "Da ist bestimmt kein Haken dabei!", denkt er sich. Seine Tochter ist allerdings skeptischer und bittet ihre Brüder, in ihrer Rufweite zu bleiben, um sie eventuell vor dem seltsamen König zu beschützen.

König Blaubart und das Mädchen heiraten. Einige Zeit später meint Blaubart: "Ich muss geschäftlich verreisen. Fühl dich ganz wie zuhause! Hier hast du die Schlüssel zum gesamten Schloss, damit kommst du in jeden Raum, außer in die verbotene Kammer. Dort darfst du auf keinen Fall rein. Niemals, hörst du?! Du kannst überall hin, kein Problem, nur nicht in die verbotene Kammer. Die ist verboten.
Ich kann verstehen, wenn du neugierig bist. Was wohl drin ist, in der wunderbaren verbotenen Kammer, fragst du dich wahrscheinlich. Gold? Edelsteine? Wer weiß...
Aber trotzdem, du darfst unter keinen Umständen in die verbotene Kammer, okay? So, ich muss jetzt auf eine lange Reise, vergiss nicht, was ich dir gesagt hab. Hier ist der Schlüssel für die verbotene Kammer."

Weil verbotene Früchte am süßesten schmecken, kann die neue Frau Blaubart aber natürlich letztendlich trotz großen Bemühens nicht widerstehen. Vielleicht hätte der König sie durch sein Verbot nicht so neugierig machen sollen. Oder ihr nicht den Schlüssel geben, eins von beiden.


»Ich muß eine große Reise machen, da hast du die Schlüssel zu dem ganzen Schloß, du kannst überall aufschließen und alles besehen, nur die Kammer, wozu dieser kleine goldene Schlüssel gehört, verbiet’ ich dir; schließt du die auf, so ist dein Leben verfallen.«


Als sie die Tür öffnet, kommt ihr ein Schwall Blut entgegen. In der verbotenen Kammer hängen mehrere Frauenleichen, einige davon sind nur noch Skelette.



Vor Schreck knallt sie die Tür zu, wobei der Schlüssel aus dem Schloss springt und auf den blutigen Boden fällt. Da das Mädchen panische Angst davor hat, dass Blaubart bemerkt, dass sie in der verbotenen Kammer war, wäscht sie den Schlüssel gründlich sauber.
Wenn der wahnsinnige Killerkönig nur nicht herausbekommt, was sie gesehen hat, so denkt sie sich, dann ist ja alles in Ordnung und ihr kann nichts passieren.

Leider handelt es sich aber um magisches Blut, das nach dem Waschen wieder zum Vorschein kommt. Und so erfährt Blaubart davon, dass die Königin seine Leichenkammer entdeckt hat und entschließt sich, auch sie zu ermorden.

Herzensgut wie er aber nun mal ist, erlaubt er ihr, zuvor im Schlossturm noch ein letztes Gebet zu sprechen, während er schon mal sein Messer wetzt. Das Mädchen betet aber gar nicht: Sie hat ihren gutgläubigen Ehemann einfach angelogen! Pfui! Ganz schön unmoralische Dinge passieren da manchmal in Märchen.
Stattdessen ruft sie ihre Brüder, die in letzter Sekunde das Schloss stürmen, Blaubart niederstrecken (anscheinend hat der König keine Leibwache) und ihre Schwester retten.
Die Geschwister hängen Blaubarts Leiche zu seinen Mordopfern in die verbotene Kammer, nehmen all sein Gold mit und gehen nach Hause.

Das Schönste an dieser fröhlichen Erzählung: Sie basiert auf einer wahren Begebenheit, den Serienmorden eines Franzosen namens Gilles des Rais.
Spaß und Bildung in einem, was will man mehr für seine lieben Kleinen?



#2

IN YOUR HEAD, IN YOUR HEAD, THEY ARE DYING

["Die drei Schlangenblätter"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", ab der zweiten Ausgabe von 1819]


Es war einmal ein Mann, der konnte seinen einzigen Sohn nicht mehr ernähren...
So heiter wie die Geschichte beginnt, geht sie auch weiter: Der Sohn geht freiwillig, um seinem Vater nicht mehr zur Last zu fallen und wird Soldat. In einer Schlacht scheint die Lage für seine Armee hoffnungslos und die meisten seiner neuen Kameraden werden massakriert.


Abbildung unten: Lach- und Sachgeschichten für Kinder


»Da gab ihm der Vater seinen Segen und nahm mit großer Trauer Abschied, der Sohn aber ward Soldat und zog mit ins Feld. Als er vor den Feind kam, da gings scharf her und regnete blaue Bohnen, daß seine Kammeraden von allen Seiten niederstürzten.«


Als auch der Anführer der Armee fällt, scheint die Lage aussichtslos. Doch unser Protagonist hält eine motivierende Rede und stürmt mutig dem Feind entgegen. Die Kameraden, die noch am Leben sind, folgen ihm - und so gewinnen sie die Schlacht doch noch.

Der König erfährt von der Heldentat des Nachwuchssoldaten und lädt ihn in sein Schloss ein, um ihm zur Belohnung große Schätze zu schenken.
Der König hat eine schöne Tochter, die noch unverheiratet ist, da sie von ihrem zukünftigen Bräutigam verlangt, sich in ihr Grab zu legen und dort zu sterben, falls dieser sie überleben sollte. "Wenn er mich wirklich liebt", denkt sie sich, "warum sollte er ohne mich weiterleben wollen?".
Manche würden die Prinzessin wegen ihres Schwurs vielleicht als radikal romantisch ansehen. Andere, die Recht haben, als ziemlich geisteskrank.
Der Soldat ist durch die Schönheit der jungen Dame so betört, dass er anders als alle vorangegangenen Freier die seltsame Bedingung akzeptiert und sie heiratet.

Kurze Zeit später stirbt die Prinzessin und ihr Ehemann muss mit in ihre Gruft. Dort entdeckt er eine Schlange, die er mit seinem Schwert tötet. Eine weitere Schlange kommt angekrochen, legt der toten Kollegin drei Blätter auf den Leichnam und siehe da, die Schlange ersteht wieder von den Toten auf.
Der Soldat fragt sich, ob die Zauberblätter der Zombieschlange nicht vielleicht auch einen Menschen ins Reich der Lebendigen zurückholen könnten und probiert es aus. Und tatsächlich kann er die Prinzessin wieder lebendig machen. (Die ganze Episode mit der Schlange ist übrigens eins-zu-eins aus dem sehr viel älteren Mythos von Glaukos und Polyeidos aus Kreta übernommen.)

Die Prinzessin und ihr treuer Mann lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Ne, war natürlich nur Spaß. Die Prinzessin nimmt sich einen Liebhaber, einen Schiffskapitän, und die beiden ermorden gemeinsam den Ex-Soldaten.

Glücklicherweise hatte dieser aber vorsorglich die Blätter der Schlangen aufgehoben und so kann er von seinem Diener wiedererweckt werden.
Er beschwert sich bei seinem Schwiegervater und der König bringt seine Tochter zur Strafe um.

Die Moral der Geschichte ist wohl, dass man sehr vorsichtig bei seinen Schwüren sein soll. Oder alternativ, dass Leute, die man aus dem Reich der Toten zurückgeholt hat, nicht mehr die selben Menschen sind wie zuvor, sondern teuflische, dämonische Wesen mit der Maske eines geliebten Menschen.
Also vergesst nicht, liebe Kinder, eure Eltern haben euch ganz doll lieb! Es sei denn, sie sind durch mordlustige Untote ausgetauscht worden!


»Es war aber, als ob der Frau, seit sie ihr Mann wieder ins Leben erweckt, das Herz sich ganz verändert und umgekehrt hätte. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, vergaß sie gänzlich seine große Liebe und Treue, und es erwuchs in ihr eine böse Neigung zu dem Schiffer.«


Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Und wenn doch, dann vielleicht auch...



#3

DIE KATZE IM SACK

["Katz und Maus in Gesellschaft"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen"]


Es war einmal eine Maus, die mit einer Katze zusammenwohnte. Warum auch nicht.
Um für den Winter vorzusorgen, besorgen sich die beiden zusammen einen Topf Fett. Sie verstecken ihn unter dem Altar einer Kirche, weil sie dies für den sichersten Ort dafür halten.

Die Katze bekommt jedoch vor dem Winter Hunger und will sich etwas von dem Fett stibitzen. Der Maus erzählt sie einfach, dass sie zu einer Taufe eingeladen ist. Da die Ausrede bestens funktioniert hat, benutzt die Katze sie noch zwei weitere male und leert den Fetttopf .

Als es Winter wird, gehen die beiden in die Kirche, um den Topf zu holen. Da entdeckt die arme Maus, dass das Fett alle ist und verdächtigt die Katze. Der sonst so eloquenten Katze fällt anscheinend keine Ausrede ein. Daher frisst sie die Maus kurzerhand auf. Ende.

Was lernen wir daraus? Traue keiner Katze, auch wenn sie noch so süß ist, mit ihrer falschen Grammatik und ihren albernen Katzentaufe-Ausreden...



»It's just like the story of the grasshopper and the octopus. All year long, the grasshopper kept burying acorns for the winter, while the octopus mooched off his girlfriend and watched TV. But then the winter came, and the grasshopper died, and the octopus ate all his acorns. And also he got a racecar. Is any of this getting through to you?«



#4

SLAUGHTERHOUSE-FIVE

["Wie Kinder Schlachtens mit einander gespielt haben"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", nur in der ersten Auflage von 1812]

Es war einmal ein Junge, der seinem Vater beim Schlachten ihres Hausschweins beobachtete.
"Das kann ich auch", denkt er sich, und spielt kurz darauf mit seinem Bruder Schlachter und Sau. Neckisch sticht er seinem Bruder ein Messer in den Hals. Der spielt seine Rolle als Schwein hervorragend und beginnt, zu schreien wie... nun ja, eine abgestochene Sau eben.

Dies hört die Mutter der beiden, die gerade ihr jüngstes Kind badet, und kommt herbeigeeilt.
Der Schlachter-Bruder ist zutiefst betrübt über seine blutige Tat und muss an einem gebrochenen Herzen leiden. Denn seine Mutter sticht ihm mit dem Messer ins Herz.
Während dieser pädagogischen Maßnahme ertrinkt blöderweise das Baby in der Badewanne.
Shit happens.

Die Mutter bemerkt den Tod ihres Babys, nimmt sich den Strick und erhängt sich. Der Vater kommt wenig später heim und findet seine ganze Familie tot auf. Dies verkraftet er nicht und so stirbt auch er wenig später, an Traurigkeit.

Und wenn sie nicht gestorb..
Oh ja, stimmt...



»Der Mann kam vom Felde und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, daß er kurz darauf gestorben ist.«



#5

LIFE HAS A FUNNY, FUNNY WAY

["Der arme Junge im Grab"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", ab der 5. Auflage von 1843]

Es war einmal ein armer Hirtenjunge, dessen Eltern gestorben waren.
So beginnt eine der deprimierendsten Erzählungen der Weltgeschichte. Das Waisenkind wird bei einer Bauernfamilie untergebracht, die ihm zwar wenig Essen gibt, dafür aber umso mehr Schläge.
Aber es ist nicht alles schlecht für unseren kleinen Freund. Er muss zumindest nicht in die blöde Schule gehen. Stattdessen wird er zur Kinderarbeit abkommandiert.

Leider ist er in seinem Job nicht sehr erfolgreich. Zwei mal kommt ein Habicht und klaut die Hühner, auf die das Kind aufpassen sollte. In beiden Fällen wird der Junge so stark verprügelt, dass er sich jeweils ein paar Tage vor Schmerzen nicht regen kann und im Bett liegen muss.

Als er sich wieder erholt hat, bekommt er eine neue Aufgabe. Er soll einem Richter einen Korb voller Trauben bringen. Unterwegs isst der Knabe, da er wegen der ständigen Unterernährung extrem ausgehungert ist, zwei von den Trauben.
Der Richter bemerkt, dass er um zwei Trauben betrogen worden ist und kann das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er gibt dem Jungen einen Beschwerdebrief mit, in dem er als Kompensation für den erlittenen Verlust einen weiteren Korb voller Trauben verlangt.
Als das Kind dem Richter den zweiten Korb bringt, kann er jedoch erneut nicht widerstehen und isst wieder zwei Trauben. Der Richter schickt ihn mit einem Brief zurück, in dem er die Pflegeeltern dazu ermahnt, den Jungen ordentlich zu ernähren, aber auch, ihm den Unterschied zwischen Gut und Böse beizubringen. Offensichtlich hält er den kinderverprügelnden Bauern für die am besten geeignete Person, einen Heranwachsenden moralisches Verhalten zu lehren.


»Der arme Junge mochte thun was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber destomehr Schläge.«


Der Bauer wird über den Brief extrem sauer und droht, den Jungen tot zu prügeln, falls er seine nächste Aufgabe nicht zufriedenstellend erledigt. Diese besteht darin, Stroh zu zerschneiden. Derart motiviert geht das Kind verbissen an die Arbeit, so dass er sich blutig schneidet und aus Versehen dabei seine Kleidung kaputt macht.
Der Junge denkt sich, da der Adoptivpapa ihn nun sowieso tot schlagen würde, könne er genauso gut Selbstmord begehen. Er trinkt eine Flasche mit einer Flüssigkeit, die er für Gift hält, verlässt das Haus und legt sich in ein leeres Grab. In Wirklichkeit war es aber gar kein Gift, sondern Wein.

Während der Junge den Lärm des Wirthauses hört und glaubt, bereits im Himmel zu sein, verliert er in seinem betrunkenen Zustand das Bewusstsein - und stirbt an Unterkühlung.
Ach ja, Ironie des Schicksals! Harharharharhar!!!

Und da soll noch mal jemand sagen, Deutsche hätten keinen Humor! ROFL!



#6

HÜHNERSCHRECK

["Von dem Tod des Hühnchens"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", ab der 2. Ausgabe "Von dem Tode des Hühnchens"]


Warum schaut ihr denn so traurig aus, liebe Kinder? Na gut, ich gebe zu, das letzte Märchen war ein bisschen düster für Vierjährige...

[Blättert im Märchenbuch]

Oh, hier ist eine Geschichte mit sprechenden Tieren! Die ist bestimmt viel schöner und kindgerechter.

Also, es war einmal ein Hahn und Henne. Die Henne verschluckt sich an einer Nuss und bittet den Hahn um Hilfe. Er soll ihr Wasser vom Brunnen bringen.

...Was, warum er nicht das Heimlich-Manöver macht? Oh-la-la, ein großes Wort für einen so kleinen Fratz wie dich, Jonathan-Merlin. Weil es ein Huhn ist, deswegen. Sei doch nicht lächerlich!..

Wie dem auch sei, jedenfalls eilt der Hahn zum Brunnen, um Wasser für das erstickende Hühnchen zu holen. Der Brunnen weigert sich...

...Ja, der Brunnen kann sprechen, Gwendoline-Anastasia. Jetzt unterbrecht den armen Märchen-Onkel doch nicht dauernd. Bei den Grimm-Geschichten kann alles sprechen. Es gibt sogar ein Märchen über eine sprechende Bratwurst, ernsthaft.

Wo war ich? Ach ja, der Brunnen will für das Wasser ein Stück rote Seide haben und bevor ihr fragt, ich habe keine Ahnung, wofür er die braucht. Der Brunnen besteht auf Vorauskasse und will das dringend benötigte Wasser erst dann rausrücken, wenn er seine Seide hat.
Der Hahn rennt zu einer Braut, um von ihr die Seide zu besorgen. Die Braut will aber im Austausch ein Kränzlein - und sie will es sofort. Der Hahn holt das Kränzlein, bekommt die Seide dafür, sprintet zum Brunnen und kriegt das Wasser. Mit dem Wasser rennt er zu dem Hühnchen.
Schafft er es rechtzeitig, seiner Frau das Leben zu retten?..

Es wird spannend...

[Blättert um]

Oh... Okay, es stellt sich heraus, dass das Hühnchen bereits tot ist.

Aber keine Bange, dafür kriegt es eine richtig schöne Beerdigung! Alle Tiere kommen, um dem Hühnchen die letzte Ehre zu erweisen. Der Wolf, der Fuchs, der Bär, der Löwe...

...Ja, Winnetou-Nepumuk, in Deutschland gibt es Löwen. An-fucking-scheinend!

Die Tiere treffen einen Strohhalm. Der Strohalm sagt...

...Mann, ja! Das hatten wir doch schon. Alles kann sprechen! Außer deine Mutter, wenn sie meinen Penis im Mund hat! Ich hab langsam echt keinen Bock mehr auf eure ständigen Unterbrechungen. Da geh ich doch lieber in den Puff... 
...Halt die Fresse, das ist ein Puff!

Ich kürze das mal ab und verrate das Ende. Es passieren lustige Unfälle und alle sterben! Ende.
So, das verdammte Märchen ist vorbei, ihr Scheiß-Bälger! Süße Träume!


»Da war das Hähnchen noch allein mit dem todten Hühnchen, und grub ihm da ein Grab, und legte es hinein, und machte einen Hügel darüber, auf den setzte es sich und grämte sich so lang, bis es auch starb; 

und da war alles todt.«


...Okay, von mir aus, wenn ihr zu flennen aufhört, erzähl ich euch noch eine lustige Geschichte zum Abschluss.



#7

EIN DORN IM AUGE

["Der Jud' im Dorn"
aus Grimms "Kinder- und Hausmärchen", ab der 2. Ausgabe "Der Jude im Dorn"]


Es war einmal ein fleißiger, aber nicht allzu heller junger Knecht. Er hatte drei Jahre lang einem Bauern als Geselle gedient und dafür keinen Pfennig erhalten. (Für die jüngeren unter meinen Lesern: ein "Pfennig" war eine altertümliche Währungseinheit.) Nun kommt er auf die Idee, doch mal nach Lohn zu fragen.
Der Bauer ist allerdings geizig und haut seinen Knecht über's Ohr. Fairerweise muss man sagen, dass der junge Mann es ihm auch sehr einfach macht, indem er die angebotenen drei Pfennig Lohn ohne Diskussion überglücklich annimmt und sich nun für einen reichen Mann hält.

Mit seinem Reichtum macht er sich auf, die große, weite Welt zu erkunden. Unterwegs trifft er einen Mann von unterdurchschnittlicher Körpergröße, der liebevoll politisch-korrekt als "Männlein" bezeichnet wird. Dieser behauptet, sehr arm zu sein und fordert den neureichen Ex-Knecht auf, ihm sein Geld zu überlassen. Obwohl er momentan arbeitslos und obdachlos ist, gibt er seine drei Pfennige sofort her. Der Bettler teilt ihm mit, dass er nun drei Wünsche frei habe, da er bewiesen habe, dass er ein gutes Herz hat.

Der ehemalige Knecht geht einfach spontan davon aus, dass der Mann ein Zauberer ist und ihm jeden Wunsch erfüllen kann. Dies ist allerdings auch tatsächlich so.
Mit seinen drei Wünschen  stellt er seine suboptimale Cleverness erneut unter Beweis. Jeder Mensch mit der geringsten Allgemeinbildung weiß doch, dass die korrekte Antwort ist, sich immer als erstes mehr Wünsche zu wünschen.

Stattdessen will er ein Vogelrohr (eine Art Blasrohr), das immer dorthin trifft, wohin er zielt. Mit anderen Worten: Ein gerades Rohr. Zudem eine Fiedel, zu der alle tanzen müssen, wenn sie gespielt wird und - zugegeben, ein untypisch kluger Wunsch - dass ihm niemand mehr eine Bitte abschlagen kann.

Nachdem nun etabliert wurde, warum der Geselle magische Gegenstände besitzt, und dass er ein herzensguter Mensch ist, beginnt die eigentliche Geschichte damit, dass er einen alten Juden trifft.
Dieser bittet ihn, sein Vogelrohr dazu zu benutzen, ihm eine Lerche vom Baum zu schießen. Der tote Vogel fällt allerdings in einen Dornenbusch. Als der Jude gerade unter die dichten Dornen kriecht, erlaubt sich der Knecht einen kleinen, urkomischen Spaß und beginnt, auf seiner Zauber-Fiedel zu spielen.

Unfreiwillig tanzt der Jude durch die Dornbüsche, so dass er am ganzen Körper blutet und den Fiedler verzweifelt anfleht, seinen kleinen Streich zu beenden.
Natürlich hört der Knecht auch gerne auf - nachdem er den Juden um sein Vermögen erpresst hat. Durch den Erzähler erfahren wir, dass der Jude sehr viel Geld dabei hat, weil er es gerade von einem Christen gestohlen hat.
Der Geselle kann das eigentlich nicht wissen - aber da er ja ein schlauer Fuchs ist, folgert er wohl, dass dies die einzige logische Erklärung ist.


»Da kroch der Jud’ in den Busch und wie er mitten drin stack, zog mein Knecht seine Fiedel und geigte, fing der Jud’ an zu tanzen und hatte keine Ruh, sondern sprang immer stärker und höher; der Dorn aber zerstach seine Kleider, daß die Fetzen herum hingen und ritzte und wundete ihn, daß er am ganzen Leibe blutete.«


Extrem witzig, die Geschichte bisher, muss man sagen. Doch nun wird es ernst.
Der geschundene Jude zeigt den Knecht wegen Diebstahl und Körperverletzung an. Ein Richter verurteilt den Gesellen dafür zum Tode.
Am Galgen bittet er um einen letzten Wunsch, woraufhin der Richter meint, es solle ihm jeder Wunsch gewährt werden - außer die Bitte um sein Leben. (Der Richter weiß ja nicht, dass er ihm auch diesen Wunsch nicht hätte abschlagen können, wegen des Zaubers des Männleins.)

Der Knecht verlangt, noch einmal auf seiner Fiedel spielen zu dürfen. Als er mit seinem Lied beginnt, fangen alle an zu tanzen. Nach einer Weile haben sie aber keine Lust mehr darauf und flehen den Spaßvogel an, doch bitte aufzuhören. Dieser weigert sich und verkündet, dass er erst aufhören wird, wenn der Jude seinen Diebstahl gesteht und zugibt, dass er ihm das Geld rechtmäßig abgenommen habe - was er letztendlich auch tut.
Wegen seines durch Folter erpressten Geständnisses wird der Jude hingerichtet. Der Knecht kommt frei, da nun alle wissen, dass er die Kohle ehrlich durch Folter erpresst hat.

Und die Moral der Geschicht'? Hitler hatte Recht!

Gute Nacht, liebe Kinder!




IM NÄCHSTEN TEIL: Kannibalismus, Folter und Auftragsmord - Die schöne Geschichte von Schneewittchen

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MARIOS MÄRCHENSTUNDE

Teil 1: "Fressen und gefressen werden"
>> Teil 2: "Sieben auf einen Streich"


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hey, ich habe deine Wiedergabe der Worte Gottes angefangen zu lesen. Ich bin jetzt erst bei Noah, aber ich bin soooo gefesselt. Das ist die lustigste, spannendste und beste biblische Erzählung, die ich je gehört habe.

Ich habe mir auch schon so oft über die Widersprüche Gedanken gemacht. Schön, dass du deine Gedanken mit uns allen teilst und eine realistische Sicht auf den Bibelinhalt zulässt.

mfg Tobias