25. Juli 2014

PROPAGANDA-FAKTENCHECK: Die Zeugen Jehovas 3 - Gott, warum bist du so ein Arschloch?


Wie fast alle Christen verehren die Zeugen Jehovas an einen allmächtigen, allwissenden Gott, der uns Menschen erschaffen hat und uns wohlgesonnen ist: "Gott ist Liebe" heißt es im neuen Testament. 
Klingt eigentlich echt knorke! Doch wenn ein solcher Gott das Universum regiert, warum gibt es so viel Schlechtes in der Welt? 
WTF, Jehova?

Diese Frage ist älter als das Christentum -- die bekannteste Formulierung geht auf den griechischen Philosophen Epikur zurück -- und jede Religion, die erwartet, dass man sie ernst nimmt, sollte eine Antwort auf diese Frage haben. So sahen es offenbar auch die Zeugen Jehovas, die in ihrer Broschüre "Was lehrt die Bibel wirklich" dieses Thema im Kapitel "Warum lässt Gott Leid zu?" behandeln [hier online lesbar].


“Injustice upon earth renders the justice of of heaven impossible.” 
― Robert G. Ingersoll







Aus der Broschüre:
"Warum lässt Gott Leid zu? Wenn Jehova Gott allmächtig, liebevoll, weise und gerecht ist, weshalb gibt es dann so viel Hass und Ungerechtigkeit auf der Welt?"

Zu Beginn der Kapitels wird die eigentliche Frage "Warum lässt Gott Leid zu" noch einmal wiederholt, aber schon im nächsten Satz wird diese Frage umgewandelt in: "Warum leiden Menschen?". Die zweite Frage hat aber mit der ersten aber nicht identisch.
Stellt euch mal folgendes Szenario vor: Ein Wissenschaftler hat ein Heilmittel gegen Krebs entwickelt. Er besitzt einen Koffer voll Tabletten, von denen eine einzige bereits ausreicht, um die Krankheit endgültig zu besiegen. Nun besucht der Wissenschaftler jeden Tag die Kinder-Krebs-Station und beobachtet, wie die Patienten der Reihe nach wegsterben. Er hätte die Möglichkeit, den armen Seelen eine seiner Tabletten zu schenken oder zu verkaufen, doch er entschließt sich bewusst, den Medikamenten-Koffer ungeöffnet mit ins Grab zu nehmen.
Warum müssen die Kinder in diesem Gedankenexperiment sterben? Nun, weil sie Krebs haben. Der Wissenschaftler ist nicht dafür verantwortlich, dass sie diese Krankheit bekommen haben. Aber er ist moralisch sehr wohl dafür verantwortlich, dass er sie nicht geheilt hat, obwohl es in seiner Macht stand.

Dasselbe gilt für einen allmächtigen Gott, wenn es einen geben würde: Auch wenn menschliches Leid nicht vom lieben Gott persönlich verursacht würde, bliebe dennoch die Frage, warum er es nicht verhindert. Diese Frage, so viel sei schon mal verraten, wird in der gesamten Propaganda-Broschüre nicht wirklich befriedigend beantwortet. Ein Schock, ich weiß.



DOPPEL-STANDARD HÄLT BESSER

Aus der Broschüre:
"Vielen wird gesagt, Gottes Wege seien unerforschlich und er lasse Erwachsene, ja sogar Kinder sterben, um sie zu sich in den Himmel  zu holen. Wir wissen aber nun, dass Jehova Gott nichts Böses verursacht. Die Bibel sagt: „Fern sei es von dem wahren Gott, böse zu handeln, und vom Allmächtigen, unrecht zu handeln!“ (Hiob 34:10)."

Oft werfen viele Christen jeglichen Kritikern prinzipiell vor, dass sie Bibelzitate aus dem Kontext reißen und damit ihre Bedeutung verzerren. Außer natürlich, wenn die Zitate ihre vorgefertigte Meinung bestätigen -- dann haben sie mit derselben Strategie meist kein Problem, wie diese Stelle sehr schön zeigt.
Es klingt nämlich sehr stark danach, als ob es die allgemeine Lehrmeinung der Bibel sei, dass Böses und Ungerechtes nicht von Gott stammen würde. Liest man die angegebene Bibelstelle allerdings im Kontext des Buches Hiob, stellt man fest, dass es sich um ein Zitat von einem von Hiobs Freunden handelt, nicht von Jehova.
Später im Text erscheint Gott jedoch persönlich und stellt ziemlich unmissverständlich klar, dass Hiobs Kumpel Scheiße über ihn labern ...

"Da nun der HERR mit Hiob diese Worte geredet hatte, sprach er zu Eliphas von Theman: Mein Zorn ist ergrimmt über dich und deine zwei Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob."
(Hiob 42)



Aber lassen wir uns nicht von den Ablenkungsmanövern der Zeugen irritieren. Die Frage, ob Gott Böses tut, ist irrelevant. Es geht darum, ob Jehova Leiden verursacht, was er in der Bibel unbezweifelbar tut. Nehmen wir nur eines seiner zahlreichen Massaker: Die Ermordung aller Erstgeborenen in Ägypten.

"Und Mose sprach: So sagt der HERR: Ich will zu Mitternacht ausgehen in Ägyptenland; und alle Erstgeburt in Ägyptenland soll sterben, von dem ersten Sohn Pharaos an, der auf seinem Stuhl sitzt, bis an den ersten Sohn der Magd, die hinter der Mühle ist, und alle Erstgeburt unter dem Vieh; und wird ein großes Geschrei sein in ganz Ägyptenland, desgleichen nie gewesen ist noch werden wird; [...]
Da stand Pharao auf und alle seine Knechte in derselben Nacht und alle Ägypter, und ward ein großes Geschrei in Ägypten; denn es war kein Haus, darin nicht ein Toter war."

(Exodus 11:4-6; 12:30)

Es ist ekelerregend, dass viele Leute diese Story als Wahrheit anerkennen und Gott trotz Massenmord als "gut" bezeichnen. Aber zu sagen, seine Handlungen hätten für keinen Menschen Leid bedeutet, widerspricht einfach allem, was in der Bibel über Gott gesagt wird.

"Wo du nicht wirst halten, daß du tust alle Worte dieses Gesetzes, die in diesem Buch geschrieben sind, daß du fürchtest diesen herrlichen und schrecklichen Namen, den HERRN, deinen Gott, so wird der HERR erschrecklich mit dir umgehen, mit Plagen auf dich und deinen Samen, mit großen und langwierigen Plagen, mit bösen und langwierigen Krankheiten, und wird dir zuwenden alle Seuchen Ägyptens, davor du dich fürchtest, und sie werden dir anhangen; dazu alle Krankheiten und alle Plagen, die nicht geschrieben sind in dem Buch dieses Gesetzes, wird der HERR über dich kommen lassen, bis du vertilgt werdest. 
Und wird euer ein geringer Haufe übrigbleiben, die ihr zuvor gewesen seid wie Sterne am Himmel nach der Menge, darum daß du nicht gehorcht hast der Stimme des HERRN, deines Gottes.
Und wie sich der HERR über euch zuvor freute, daß er euch Gutes täte und mehrte euch, also wird er sich über euch freuen, daß er euch umbringe und vertilge; und werdet verstört werden von dem Lande, in das du jetzt einziehst, es einzunehmen."
(Deuteronomium 28:58-63)




IN TEUFELS KÜCHE

Aus der Broschüre:
"Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, warum oft fälschlicherweise Gott die Schuld für all das Leid auf der Welt gegeben wird? Viele tun das, weil sie glauben, Gott, der Allmächtige, sei der Herrscher dieser Welt. Wer so denkt, übersieht eine einfache und doch sehr wichtige biblische Lehre, die wir in Kapitel 3 kennen gelernt haben: Der Herrscher der Welt von heute ist in Wirklichkeit Satan, der Teufel."

Nehmen wir mal an, dass man die Bibel ungeprüft als fehlerfreie Informationsquelle von absoluter Wahrheit akzeptieren sollte (man sollte nicht) und dass die Bibel eindeutig lehrt, dass Satan der "Herrscher der Welt" ist (sie tut es nicht*) -- dann stellt sich noch immer die Frage, warum Gott Leid zulässt. Warum lässt Gott Satan die Welt regieren? Er wird immer wieder als allmächtig beschrieben, was logischerweise heißt, dass nichts im Universum gegen seinen Willen passiert. Wenn Gott auch nur das geringste Problem damit hätte, dass der Teufel König der Erde ist, könnte ihn nichts in der Welt davon abhalten, diese Tatsache zu ändern.
Eine sehr einfache Methode dafür wäre beispielsweise, bei der Erschaffung des Universums darauf zu verzichten, auch einen Satan zu erschaffen.

Die Hauptfrage des Kapitels "Warum lässt Gott Leid zu?" wird durch diese Antwort nicht geklärt, sondern nur verschoben auf "Warum lässt Gott Satan zu?". Diese Frage bleibt, nicht wirklich überraschend, unadressiert.


*=
-- "HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!" (Psalm 8:10)
-- "Er ist der HERR, unser Gott; er richtet in aller Welt." (Psalm 105:7)
-- "Die Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem HERRN, vor dem Herrscher des ganzen Erdbodens."  (Psalm 97:5)
-- "[Gott] ändert Zeit und Stunde; er setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand;" (Daniel 2:21)
-- "Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel." (Matthäus 6:9-10)



WORDS ARE WIND

Aus der Broschüre:
"Die Bibel sagt klar und deutlich: „Die ganze Welt liegt in der Macht dessen, der böse ist“ (1. Johannes 5:19).
Überlegen wir einmal: Klingt das nicht einleuchtend?"

Korrekt, es klingt nicht einleuchtend.

Wie wir an dieser Stelle sehen werden, gibt es neben dem Zitate-aus-dem-Kontext-reißen eine weitere subtile, raffinierte Methode, die Bibel genau das sagen zu lassen, was man gerne hören würde. Man muss nur den Text so verändern, dass die Bedeutung mit der eigenen Interpretation übereinstimmt. Genial!

Denn wenn wir mal in die Bibel schauen, ob sie wirklich klar und deutlich sagt, was die Zeugen Jehovas uns weismachen wollen, finden wir dieses:

"Wir wissen, daß wir von Gott sind und die ganze Welt im Argen liegt."
(1. Johannes 5:19 - Lutherbibel 1912) 

"Wir wissen, daß wir aus Gott sind und die ganze Welt im argen liegt;"
(1. Johannes 5:19 - Schlachter 1951)

"Wir wissen, dass wir aus Gott sind und dass die ganze Welt sich im Bösen befindet."
(1. Johannes 5:19 - Schlachter 2000)

"Wir wissen, dass wir von Gott stammen und dass die ganze Welt um uns herum vom Bösen beherrscht wird."
(1. Johannes 5:19 - Neue Evangelische Übersetzung)

Ganz offensichtlich ist hier die Rede vom "Bösen" als abstraktes Konzept und nicht als Person. So wie auch normale Leute das Wort benutzen.
Der Blick ins Wörterbuch verrät uns, dass das altgriechische Wort aus dem neuen Testament, das laut Zeugen "Satan" bedeutet (πονηρός) in Wirklichkeit tatsächlich eine Idee beschreibt und keinen leibhaftigen Teufel.
Sofern man also auf den komischen Gedanken kommt, den Text der Bibel ernst zu nehmen, findet man in der zitierten Stelle nicht die Antwort darauf, warum wir leiden, obwohl wir Geschöpfe Gottes sind -- es wird lediglich eben genau dieser Widerspruch formuliert.



BAD MEN

Die Zeugen Jehovas geben dem armen Teufel allerdings nicht die gesamte Schuld an all der Misere unserer Erde. Der allmächtige Schöpfer Jehova ist natürlich völlig unschuldig, aber neben Satan trägt auch der Mensch Verantwortung für sein Leid.

Aus der Broschüre:
"Ein zweiter Grund, warum es so viel Leid gibt, liegt darin, dass der Mensch, wie in Kapitel 3 erklärt wurde, seit der Rebellion im Garten Eden unvollkommen und sündig ist.
Sündige Menschen streben oft nach Macht, was wiederum Kriege, Unterdrückung und Leid zur Folge hat (Prediger 4:1; 8:9)."

Einen Moment mal: Also Krieg, Unterdrückung und Leid sind unvermeidbare Konsequenzen von Macht? Wenn das stimmt, was sagt das über Jehova, den Allmächtigen, aus? Dass er vollkommen gut ist? Klingt einleuchtend.

(Die Tatsache, dass auch hier wieder die angegebenen Bibelstellen in keiner Weise das beinhalten, was uns die Zeugen glauben machen wollen, wird uns wohl nicht mehr so arg verwundern.)

Aus der Broschüre:
"Ein dritter Grund für das Leid ist „Zeit und unvorhergesehenes Geschehen“ (Prediger 9:11). In einer Welt, über die Jehova nicht als schützender Herrscher regiert, muss manch einer leiden, weil er sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort befindet."

Anders gesagt:
Warum lässt Gott Leid zu? Weil er Leid zulässt.



SHERLOCK

Im Folgenden wird uns geschildert, wie Satan zu seiner Rolle als Welt-Diktator gekommen ist.

Aus der Broschüre:
"Als Satan Adam und Eva zum Ungehorsam gegen Gott verleitete, zog er etwas Wichtiges in Zweifel. Es war jedoch nicht Jehovas Macht. Auch Satan weiß, dass Jehovas Macht grenzenlos ist. Was er in Zweifel zog, war vielmehr Jehovas Recht zu herrschen. Satan stellte Jehova als Lügner hin, der seinen Untertanen Gutes vorenthält, und beschuldigte ihn somit, ein schlechter Herrscher zu sein (1. Mose 3:2-5). Er behauptete indirekt, den Menschen ginge es besser, wenn sie nicht von Gott regiert würden. Das war ein Angriff auf Jehovas Souveränität, auf sein Recht zu herrschen."

Dass auch hier die Interpretation und der Original-Text nicht wirklich vereinbar sind, geschenkt.
Gehen wir einfach mal davon aus, dass die hier genannte Deutung legitim ist.
Satan hat also eingeräumt, dass Gott mächtig ist, glaubt aber nicht, dass ihn diese Tatsache berechtigt, wie ein Diktator über seine Geschöpfe zu herrschen. Pfui, Teufel!

Aus der Broschüre:
"Adam und Eva rebellierten gegen Jehova. Sie sagten gewissermaßen: „Wir brauchen Jehova nicht als Herrscher. Wir können selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist.“
Wie konnte Jehova hier Klarheit schaffen? Wie konnte er allen vernunftbegabten Geschöpfen zeigen, dass die Rebellen im Irrtum waren und sein Weg doch der beste ist? Der eine oder andere denkt vielleicht, Gott hätte die Rebellen einfach vernichten und von vorn anfangen sollen.
 Aber Jehova hatte  bereits erklärt, dass die Erde mit Nachkommen Adams und Evas bevölkert werden sollte, und er wollte, dass sie ewig in einem Paradies auf der Erde leben (1. Mose 1:28). Jehova führt immer aus, was er sich vorgenommen hat."

Aha, also Jehova führt immer aus, was er sich vorgenommen hat* und einer seiner Pläne war, dass Adam und Evas Nachkommen für alle Ewigkeiten im Paradies leben sollte. Kombiniert man diese beiden Tatsachen, ergibt es extrem viel Sinn, wenn Gott beschließt, dass die Nachkommen Adam und Evas das Paradies niemals zu Gesicht bekommen werden, da Jehova die beiden aus dem Paradies verbannt, bevor auch nur eines ihrer Kinder geboren wird, und seitdem keinen Menschen mehr hineinlässt.


*=
-- "Da aber Gott sah ihre Werke, daß sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn des Übels, das er geredet hatte ihnen zu tun, und tat's nicht." (Jona 3:10)

-- "Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, daß es ein halsstarriges Volk ist. Und nun laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme und sie vertilge; so will ich dich zum großen Volk machen. 
Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott [...] Also gereute den HERRN das Übel, das er drohte seinem Volk zu tun." (Exodus 32:9-11,14)

-- "Da reute den HERRN das auch, und der Herr, HERR sprach: Es soll auch nicht geschehen." (Amos 7:6) 



CHILDREN OF THE REVOLUTION

Aus der Broschüre:
"Man könnte die Situation so veranschaulichen: Ein Lehrer erklärt seiner Klasse, wie eine schwierige Aufgabe zu lösen ist. Ein schlauer Schüler behauptet frech, der Lösungsweg des Lehrers sei falsch. Der Schüler sagt, er wisse eine viel bessere Lösung, und unterstellt damit dem Lehrer, dass er unfähig ist."

Es ist selbstverständlich ausgeschlossen, dass ein Lehrer sich tatsächlich einmal in seinem Leben irren könnte. Auch klar ist, dass der Schüler im Beispiel "frech" ist und dem Lehrer implizit völlige Inkompetenz unterstellt und nicht etwa einfach nur den Stoff falsch versteht.

Aus der Broschüre:
"Einige Schüler glauben das und stellen sich auf seine Seite. Was jetzt? Wenn der Lehrer die Störenfriede vor die Tür setzt, was werden dann die anderen in der Klasse denken? Werden sie nicht annehmen, dass die Unruhestifter Recht haben?"

Merke: Wenn man auch nur eine einzige Aussage einer Autoritätsperson anzweifelt, ist man ein "Störenfried" und "Unruhestifter". Denn ein jede Kind sollte wissen, dass eigenständige Gedanken verboten sind.

Aus der Broschüre:
"Vielleicht verlieren sie alle den Respekt vor dem Lehrer, weil sie denken, er habe Angst, dass sich seine Lösung als falsch herausstellt. Aber nehmen wir doch einmal  an, der Lehrer lässt den Besserwisser zeigen, wie er die Aufgabe lösen würde.
So etwa ging Jehova vor.
Vergessen wir nicht, dass die Rebellion in Eden nicht nur Gott und die Rebellen betraf. Millionen von Engeln schauten zu (Hiob 38:7; Daniel 7:10)."

Vergessen wir diese wissenschaftliche Tatsache wahrlich nicht!


Aus der Broschüre:
"Der Lehrer in unserer Veranschaulichung weiß, dass der aufsässige Schüler und seine Anhänger im Unrecht sind. Aber er weiß auch, dass die ganze Klasse davon profitiert, wenn er die Störenfriede versuchen lässt, ihren Standpunkt zu beweisen. Können sie die Aufgabe nicht überzeugend lösen, werden aufrichtige Schüler zugeben müssen, dass es doch am besten ist, wenn der Lehrer die Klasse unterrichtet. Außerdem verstehen sie dann, warum der Lehrer in Zukunft keine Störenfriede mehr dulden wird." 

Wir lernen: Hat der Lehrer ein einziges Mal bewiesen, dass er Recht hatte, beweist dies eindeutig, dass er immer Recht hat. Abweichende Ansichten bedeuten unweigerlich, dass hier "aufsässige" Schüler den Unterricht "stören".
Denn gute Bildung bedeutet ja nicht, aus Fehlern zu lernen, sondern, wie allgemeinhin bekannt, dass man alles, was der Lehrer sagt, unreflektiert als absolute Wahrheit anerkennt, ohne den eigenen Kopf zu benutzen.



WER IST HIER DER BOSS?

Aus der Broschüre:
"Jehovas Vorgehen würde auf die Engel und letztlich auf die ganze vernunftbegabte Schöpfung große Auswirkungen haben. Was tat Jehova also? Er ließ Satan zeigen, wie er über die Erde herrschen würde. Auch ließ Gott zu, dass sich die Menschen unter Satans Führung selbst regieren."

Es scheint, als hätten die Verfasser dieses geistigen Durchfalls sich wie Honigkuchenpferde darüber gefreut, nicht nur eine, sondern gleich zwei Erklärungen für Leid parat zu haben, nämlich Satan und den Menschen, und dabei übersehen, in was für absurd offensichtliche Widersprüche man sich verstrickt.
Die Menschen regieren sich selbst unter der Führung Satans? Was denn nun?
Wenn Menschen sich selbst regieren, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass dies unter der Führung von Menschen geschieht. Wenn Satan aber die Menschen regiert, trifft die Aussage, das Menschen sich selbst regieren, einfach schlichtweg nicht zu. Man muss wahrlich kein Genie sein, um den Widerspruch zu sehen.

Aus der Broschüre:
"Auch Jehova weiß, dass es für alle aufrichtigen Menschen und Engel von Nutzen ist, wenn sie sehen, dass Satan und seine Anhänger gescheitert sind und sich die Menschen nicht selbst regieren können."


Und warum gibt Gott dem Teufel Autorität? Laut der eigenen Aussage der Zeugen war doch folgendes passiert: "Adam und Eva rebellierten gegen Jehova. Sie sagten gewissermaßen: „Wir brauchen Jehova nicht als Herrscher. Wir können selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist.“
Die Menschen lehnen Jehova als Herrscher ab, akzeptieren aber daher keineswegs automatisch die Herrschaft des Teufels. Besonders, da sie doch selbst entscheiden wollen, wie sie ihr Leben leben und diese Entscheidung eben nicht einer dritten Person abzugeben.

Um ihnen das Gegenteil zu beweisen, lässt Gott angeblich ein System zu, in dem alle Menschen -- zum größten Teil ohne ihr Wissen -- unter einem enormen Einfluss eines mächtigen, magischen Wesens namens Satan stehen. Und wenn das nicht klappt, bedeutet dies ohne Zweifel, dass Menschen nicht ohne den Einfluss eines mächtigen, magischen Wesens namens Jehova leben können?
Hätte Gott seine moralische Überlegenheit nicht besser beweisen können, indem er den Menschen gestattet, sich tatsächlich selbst zu regieren -- und zwar ohne die Nebenbedingung, dass in der "menschregierten" Welt die Personifizierung des Bösen freie Hand hat?...



IT'S GETTING BETTER ALL THE TIME


"Ein einziger Grundsatz wird dir Mut geben, nämlich der Grundsatz, daß kein Übel ewig währt, ja nicht einmal sehr lange dauern kann." (Epikur)


Nun gut, das klingt bisher überzeugend, sagt jetzt wahrscheinlich niemand. Aber selbst wenn Leid notwendig ist, brauchen wir wirklich so viel davon?

Aus der Broschüre:
"Aber warum hat Jehova Leid so lange zugelassen? Und warum verhindert er nicht, dass noch mehr Böses geschieht? [...] Erstens wollte er Satan und seine Anhänger nicht von dem Versuch abhalten, zu beweisen, dass sie im Recht sind. Deswegen musste er ihnen Zeit geben. Nun sind Jahrtausende vergangen, in denen sich die Menschen selbst regieren und alle möglichen Herrschaftsformen ausprobieren konnten. Sie haben zwar in der Wissenschaft und auf vielen anderen Gebieten Fortschritte gemacht, aber trotzdem sind Ungerechtigkeit, Armut, Verbrechen und Kriege immer schlimmer geworden. Man sieht heute ganz deutlich, dass die Menschenherrschaft gescheitert ist."

An diesem Punkt hat der Autor wohl keinen Bock mehr gehabt, seine Leser mit intellektuellen Tricks zu übertölpeln und geht direkt zur Lüge über.
Fakt ist: Armut, Gewaltverbrechen und Kriege lassen sich objektiv aufzeichnen und wir haben die Daten zumindest aus der jüngeren Vergangenheit. Diese zeigen, dass sowohl Armut, Gewaltverbrechen und Kriege nicht mehr werden, sondern weniger. Trotz zweier großer Weltkriege war das 20. Jahrhundert friedlicher als die vorangegangenen.
Im 21. Jahrhundert ist das statistische Risiko zu verhungern, einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen, oder im Krieg zu sterben oder verwundet zu werden, so gering wie niemals zu vor in der bekannten Geschichte. Die Behaupten der Zeugen sind schlichtweg falsch.


Aus der Broschüre:
"Zweitens hat Jehova dem Teufel nicht dabei geholfen, über die Welt zu herrschen. 
Nehmen wir an, Gott würde zum Beispiel grauenhafte Verbrechen verhindern. Würde er dadurch die Rebellen nicht genau genommen unterstützen? Würde nicht der Eindruck entstehen, dass sich die Menschen vielleicht doch ganz gut selbst regieren können?"

Okay, das leuchtet ein. Gott kann logischerweise nicht in die Geschehnisse der Geschichte eingreifen, wenn er zeigen will, wie furchtbare eine Welt ist, in der Gott eben nicht in die Geschehnisse der Geschichte eingreift.
Außer, man fragt freundlich und sagt schön "Bitte".

"Die Augen des HERRN merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien; das Antlitz aber des HERRN steht gegen die, so Böses tun, daß er ihr Gedächtnis ausrotte von der Erde. Wenn die Gerechten schreien, so hört der HERR und errettet sie aus all ihrer Not."
(Psalm 34:16-18)

"Da schrieen wir zu dem HERRN, dem Gott unsrer Väter; und der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsre Angst und Not und führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder"
(Deuteronomium 26:7-8) 

"Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein solches mit dem Feigenbaum tun, sondern, so ihr werdet sagen zu diesem Berge: Hebe dich auf und wirf dich ins Meer! so wird's geschehen.
Und alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, werdet ihr's empfangen."
(Matthäus 21:19-22)

Nehmen wir doch einmal an, Gott würde statt menschlicher Verbrechen nur grauenhafte Naturkatastrophen und schreckliche Krankheiten verhindern. Würde dadurch ebenfalls der Eindruck enstehen, dass sich die Menschen vielleicht doch ganz gut selbst regieren können? Nein, nicht wirklic:. Er würde ihnen lediglich eine faire Chance geben, eine autonome Menschenregierung ernsthaft auszuprobieren. Jehova weiß ja, dass diese letztendlich doch an Gewalt, Krieg und Verbrechen scheitern werden. Zusätzliches Leid durch Pest und Cholera ist dazu nicht vonnöten und damit sinnloses Leid.
Oder anders herum: Wenn Menschen ohne Gottes Schikanen in ihrer Mission einer Selbstregierung nicht scheitern würden, dann wäre die Herrschaft Gottes eben nicht moralisch gerechtfertigt, sondern Tyrannei.

Dies ist eine riesige Schwachstelle im schwachen Argument der Zeugen, Leid sei ein notwendiges Übel. Dies gilt vielleicht für menschengemachtes Leiden, aber es gibt keine plausible Erklärung, warum plötzlicher Kindstod und Ebola nötig und hilfreich dabei sind, Gottes rechtmäßige und gerechte Herrschaft zu beweisen.


Aus der Broschüre:
"Jehova würde sich auf diese Weise einer Lüge mitschuldig machen. Aber ‘es ist unmöglich, dass Gott lügt’ (Hebräer 6:18)."

Logik á la Zeugen:
In der Bibel steht geschrieben, dass Gott nie lügt. Aber wie kann man sich sicher sein, dass die Bibel die Wahrheit sagt? Ganz einfach: Die Bibel ist von Gott persönlich inspiriert und der lügt ja nicht!

Gott ist also nicht in der Lage zu lügen, denn dies ist ihm "unmöglich". So besteht kein Grund, nur einen einzigen Bibelvers anzuzweifeln.

"Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich."
(Lukas 1:37)



DEIN REICH KOMME, DEIN WILLE GESCHEHE

Anstatt uns weiter mit diesem "Satan regiert die Welt und Gott hält sich völlig raus"-Schmarr'n der Zeugen zu geißeln, sollte man erwähnen, dass die Bibel dieser These so ziemlich auf jeder Seite widerspricht.

Eine kurze Zusammenfassung der Events nach der Rebellion im Garten Eden: Kain tötet seinen Bruder und erhält daraufhin von Gott ein Mal von Gott, dass ihn auf magische Weise vor Mord beschützt; Gott ermordet alle Menschen auf der Welt mit einer Flut, bis auf eine einzige Familie; Gott zerstört Sodom und Gomorrha und all seine Bewohner; Gott begeht millionenfachen Massenmord am ägyptischen Reich, um seinem auserwählten Volk zu helfen; dann befiehlt er eben diesem Volk einen Genozid an den Ureinwohnern des gelobten Landes; ...
Klingt das wie ein Gott, der sich bewusst vornehm aus dem Lauf der Menschheitsgeschichte heraushält?
Anscheinend schon, die Zeugen Jehovas kennen ja die Bibel.


"Und der HERR sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.  
Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein.
Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden."
(Genesis 12:1-3)


Nun gut, ich muss gestehen, dieser Punkt geht an die Zeugen.
Gratulation!


"Denn der HERR ist zornig über alle Heiden und grimmig über all ihr Heer. Er wird sie verbannen und zum Schlachten überantworten. Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden, daß der Gestank von ihren Leichnamen aufgehen wird und die Berge von ihrem Blut fließen. [...]
Denn das ist der Tag der Rache des HERRN und das Jahr der Vergeltung, zu rächen Zion."(Jesajah 34:2-8)




AND IN THE END .,.

Die Analogie mit dem Lehrer und seiner Klasse ist auf gewisse Art recht clever (für Zeugen-Propaganda-Verhältnisse). Das Verhalten des Lehrers erscheint vernünftig und nicht ungerecht und so soll man auf die Idee gebracht werden, dass dies auch auf Jehova zutrifft. Aber das funktioniert nur, wenn man den Text überfliegt, anstatt sich aus irgendwelchen Gründen zu weigern, sich intensiv mit dem Material der Zeugen zu beschäftigen -- zum Beispiel weil man sich selbst nicht hasst.
Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass das Lehrer-Beispiel so ziemlich nichts mit der Situation Jehovas zu tun hat. Es ensteht den "rebellischen" Schülern keinen Schaden, wenn sie von ihrem Lehrer demonstriert bekommen, warum ihr Denkansatz fehlerhaft war. Im Gegenteil: So funktioniert Lernen. Bei den Rebellen, die sich weigern, Overlord Jehova als Herrscher des Universums zu akzeptieren, steht aber deutlich mehr auf dem Spiel.
Passen wir doch mal die Lehrer-Metapher an: Der Grundschullehrer Herr Gott bringt seinen Erstklässlern bei, dass Feuer gefährlich ist. Das freche Fritzchen bezweifelt die Richtigkeit seiner Warnungen und hält sich für unzerstörbar. Herr Gott tut das einzig Vernünftige in dieser Situation: Er bittet Fritz, sich vor den Augen der Klasse mit Benzin zu übergießen und sich dann anzuzünden.
Die Begründung für diese Maßnahme, die Zweiflern vielleicht etwas radikal erscheint, ist einfach: Es ist das Beste für alle Schüler.

So angepasst wirkt das Verhalten des Lehrers nicht mehr so unumstritten vorbildlich. Und wenn eine Analogie plötzlich das Gegenteil von dem aussagt, was man eigentlich damit erreichen wollte -- einzig und allein, weil man die Analogie ein wenig analoger macht, -- dann war es im Endeffekt keine sonderlich gute Analogie.


Fassen wir mal zusammen: Der Titel des Kapitels lautet "Warum lässt Gott Leid zu?"
Die Antwort der Zeugen darauf lautet: Um die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft über alle Menschen zu beweisen.
Aber: Hat Jehova keine Möglichkeit, seinen Geschöpfen dies auch ohne Leid klarzumachen? Wenn er eine hat, bedeutet das, er lässt die Menschen unnötig und sinnlos leiden, obwohl er ihnen problemlos aus der Klemme helfen könnte. Diese Möglichkeit lässt ihn nicht gerade als gerechten Herrscher erscheinen.
Kann er es nicht, ist er nicht allmächtig. Das Wort "kann", dicht gefolgt von einem "nicht" ist üblicherweise ein guter Hinweis dafür, dass die eigenen Fähigkeiten begrenzt sind und man so die ziemlich strengen Kriterien für das Prädikat "allmächtig" leider nicht erfüllt.

Das Problem des Bösen können die Zeugen Jehovas also mit ihren wilden Erklärungsversuchen nicht einmal ansatzweise knacken. Sie scheitern kläglich an der Logik eines großen, griechischen Denkers, der die Absurdität des christlichen Glaubens bereits entlarvt hatte, bevor das Christentum überhaupt entstanden war.

11. April 2014

PROPAGANDA-FAKTENCHECK: Die Zeugen Jehovas Teil 2


[Teil 1]

Beim letzten Mal haben wir den ersten Teil der Broschüre "Das Leben - Reiner Zufall?" von den Zeugen Jehovas - hier online verfügbar - untersucht, in dem wir gelernt haben, warum die Evolutionslehre Mist ist. Im folgenden Teil der selben Veröffentlichung erfahren wir nun, was stattdessen die vernünftigste und plausibelste Erklärung für die Entstehung aller Lebewesen ist: Der biblische Schöpfungsbericht ...






"Viele behaupten, der biblische Schöpfungsbericht sei mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren."

Und sie haben Recht.


"Doch der eigentliche Konflikt besteht nicht zwischen der Wissenschaft und der Bibel, sondern zwischen der Wissenschaft und dem christlichen Fundamentalismus. Einige Fundamentalisten legen die Bibel so aus, als sei die gesamte materielle Schöpfung erst rund 10000 Jahre alt. Ihrer Meinung nach wurde alles in sechs buchstäblichen 24-Stunden-Tagen erschaffen."

Das ist falsch. Dass die Erde vor etwa 6000 Jahren in nur sechs Tagen erschaffen wurde, steht so wörtlich in der Bibel. Eine "Auslegung" des Textes ist somit unnötig.


"Bei näherem Hinsehen entdeckt man jedoch keinen Widerspruch zwischen den Aussagen der Bibel und bewiesenen wissenschaftlichen Fakten."

Sofern man blind ist ...
Gehen wir zur nächsten Lüge über:

"Geologen geben das Alter der Erde mit etwa 4 Milliarden Jahren an. Und Astronomen gehen davon aus, dass das Universum gut 15 Milliarden Jahre alt ist. Widersprechen diese gegenwärtigen Schätzungen den Worten in 1. Mose 1:1? Nein. Die Bibel sagt nichts Konkretes über das Alter von „Himmel“ und „Erde“. Die Wissenschaft und der Bibelbericht sind nicht unvereinbar."


Da biegen sich ja die Balken ...
Wer behauptet, die Bibel sage "nichts Konkretes" über das Alter von Himmel und Erde, der lügt entweder oder hat er angefangen, die Bibel zu lesen, aber es noch vor dem Ende des allerersten Satzes wieder aufgegeben.
Der lautet nämlich: "Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde." Wie die Zeugen aber selbst zugegeben haben, tauchte unser schöner Planet nicht "am Anfang" aller Zeiten, sondern erst 10.000.000.000 Jahre nach dem Urknall auf.

Außerdem finden wir in der "Heiligen Schrift" lückenlose Stammbäume von Adam (der laut Genesis am sechsten Tag der Schöpfungswoche erschaffen wurde) bis hin zu Jesus Christus. Rechnet man diese Daten zusammen, kommt man auf etwa 4000 vor unserer Zeitrechnung als Startpunkt für das Universum und liegt damit immerhin falsch um einen Faktor von mehr als eine Millionen ...

Selbst wenn man die Schöpfungswoche großzügig interpretiert, bleibt noch das Problem, dass das Alter der Menschheit durch die Stammbäume dennoch immer noch bei 6000 Jahren angesiedelt ist, während seriöse Forscher von 100.000-200.000 Jahren Homo sapiens ausgehen. Andere Menschenarten gab es noch deutlich früher, seit etwa 2,3 Millionen Jahren ...



Was ist über die Länge der einzelnen Schöpfungstage zu sagen? Muss man von buchstäblichen 24 Stunden ausgehen?

Die Zeugen versuchen uns weiszumachen, dass das Wort "Tag" im Schöpfungsbericht nicht "Tag" bedeutet, sondern ein undefinierter Zeitraum von Milliarden von Jahren.
Der einzige Grund dafür ist, dass mittlerweile klar ist, dass eine Schöpfung innerhalb sieben Tage ein großer Schmarr'n ist und man dennoch nicht seinen ganzen Glauben verwerfen will.
Die Bibel spricht aber deutlich gegen eine solche Interpretation von "Tag". Das in Genesis benutzte Wort dafür ("yom") bedeutet an anderen Stellen ziemlich eindeutig immer das, was wir normalerweise unter einem Tag verstehen: Eine Zeitraum von 24 Stunden.
In den angeblichen ach-so-wichtigen Zehn Geboten steht:

"Sechs Tage sollst du arbeiten und alle dein Dinge beschicken; aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn." (Exodus 20) 

Laut Zeugen Jehovas ist dies so zu verstehen: Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebten ruhen. Denn in sechs Millionen-von-Jahren-dauernden Phasen hat Gott die Welt gemacht und ruhte in der siebten Millionen-von-Jahren-dauernden Phase. Darum segnete der HERR den Sabbat-Tag.
Ist das wirklich die plausibelste Interpretation?..


Legt das schrittweise Auftreten der Pflanzen und Tiere nahe, dass Gott die enorme Vielfalt des Lebens mithilfe der Evolution hervorbrachte? Nein.

Da sind wir uns ja endlich mal einig, liebe Zeugen. Der biblische Schöpfungsbericht ist mit der Evolutionslehre nicht vereinbar. Die Evolutions-Theorie ist eine der am besten und gründlichsten bewiesenen Theorien der modernen Wissenschaft.
Komisch, eigentlich ...
Wir erinnern uns: Die Zeugen haben doch eigentlich behauptet:

"Bei näherem Hinsehen entdeckt man jedoch keinen Widerspruch zwischen den Aussagen der Bibel und bewiesenen wissenschaftlichen Fakten."

"Die Wissenschaft und der Bibelbericht sind nicht unvereinbar."


Also: Wie war es denn nun in Wirklichkeit, wenn keine Evolution stattgefunden hat?

"Wie der Schöpfungsbericht ganz klar zeigt, hat Gott alle Haupt„arten“ erschaffen"

Ganz klar, also. Hmmmm..., aber was ist denn eine "Art" und was unterscheidet sie von einer Art?
Die eindeutige Antwort Gottes:

Wie sind die Grenzen innerhalb einer „Art“ definiert? Darüber sagt die Bibel nichts.

Oh. Okay ...
... Häh?!


"Doch sie erklärt ausdrücklich, dass die Lebewesen „nach ihren Arten“ erschaffen worden sind" 

Die Bibel "erklärt" also, dass Lebewesen in verschiedenen "Arten" erschaffen wurden, aber nicht, was das bedeuten soll.
Höret meine prophetische Weisheit: Das Universum existiert nur durch "+'*\~]?^°'#". Ich sage euch nicht, was "+'*\~]?^°'#" bedeutet, aber es ist so.
Danket mir für diese geistige Erleuchtung und betet mich an!



"Was der Bericht in 1. Mose über die Entstehung des Universums und das Auftreten von Leben auf der Erde sagt, stimmt vielmehr im Wesentlichen mit dem aktuellen Stand der Forschung überein."

Liebe Zeugen, ein Tipp von mir: Lügen werden nicht dadurch wahrer, dass man sie bis zum Erbrechen wiederholt.
Ein Beispiel: Biologen wissen - nicht erst seit gestern übrigens -, dass Pflanzen ihre Energie aus dem Licht der Sonne gewinnen. Der liebe Gott sollte das als Designer eigentlich wissen, oder? Laut der Bibel wurde die Sonne aber erst einen Tag nach allen Pflanzen erschaffen.

Während die Wissenschaft die Entstehung unserer Sonne auf mehr als 4 Milliarden Jahre vor Christus datiert und das Auftauchen der Landpflanzen auf etwa 0,5 Milliarden Jahre vor uns, versuchen uns die Zeugen weiszumachen, dass folgendes mit den Erkenntnissen der Wissenschaft wunderbar vereinbar sei: Gott erschafft Licht, bevor er die Sonne erschafft. Dann macht er Pflanzen und am nächsten Tag erschafft er schließlich "zwei Lichter, die Tag und Nacht regieren". Gemeint sind Sonne und Mond, obwohl der Mond in Wirklichkeit nicht leuchtet, sondern reflektiert. Das wussten die Leute damals nicht - und das ist der springende Punkt. Gott würde es wohl wissen.


"Bemerkenswerterweise machte Moses aber schon in alter Zeit wissenschaftlich korrekte Aussagen."

Ach so? Na, da bin ich ja mal gespannt. Nebenbei bemerkt: Die große Mehrheit der modernen Bibelforscher glaubt nicht, dass die Torah von Moses geschrieben worden ist, und es gibt keinerlei Beweise für diese Behauptung.


"Wie er im Schöpfungsbericht schrieb, hatte das Universum einen Anfang und das Leben trat in einer Abfolge von mehreren Phasen auf. Wie kam Moses vor rund 3500 Jahren an diese Informationen?"

Wie kommen die Zeugen auf diese frühe Datierung? Beweise gibt es dafür keine.
Um den Rest der Fragen zu beantworten: Nun, entweder hat das Universum einen Anfang oder aber nicht. Die Chance, dies richtig zu erraten, liegen bei 50:50.
Und was die Zeugen mit "das Leben trat in einer Abfolge von mehreren Phasen auf" meinen, ist mir schleierhaft. Laut Bibelbericht, im krassen Kontrast zur Realität, wurden beispielsweise alle landbewohnenden Tiere an einem einzigen Tag zugleich erschaffen.
Im Gegensatz zu der Evolutionslehre kann ich darin keine "Abfolge" von "mehreren" Phasen erkennen.


"Nur einer konnte Moses ein Wissen geben, das seiner Zeit so weit voraus war, nämlich derjenige, der die Weisheit und die Macht hatte, Himmel und Erde zu erschaffen."

Gut, wenn man den Text furchtbar verbiegt, kann man ein paar wissenschaftliche Tatsachen hineininterpretieren. Aber dadurch, dass der Großteil nun beim besten Willen Unsinn ist, halte ich diese Schlussfolgerung doch für ein klein wenig vorschnell ...

Der biblische Schöpfungsbericht unterscheidet sich nicht prinzipiell von Schöpfungsberichten anderer, oft sehr viel älterer Religionen. Selbst wenn die Bibel also korrekte Infos liefern würden, wäre Moses seiner Zeit nicht voraus, sondern noch immer ein Produkt seiner Kultur.


"Das bestätigt, dass die Bibel, wie sie selbst sagt, „von Gott inspiriert“ ist."

Nicht wirklich.
Ich habe den Text in den Zitaten etwas gekürzt, doch die Tatsache, dass das Universum einen Anfang hat und das Leben in verschiedenen "Phasen" entstanden ist, dies sind die einzigen beiden Argumente, die die Zeugen liefern, um ein Wissen zu demonstrieren, welches angeblich so radikal seiner Zeit voraus war, dass die einzige plausible Erklärung eine direkte Kommunikation mit dem Schöpfer des Universums ist.


Auf der letzten Seite der furchtbaren Propaganda-Broschüre werden existenzielle Ängste geschürt. Wenn es keinen Gott gebe und wir nur ein "Zufallsprodukt" sind, das wäre doch schrecklich, oder?!
Wäre es nicht viel cooler, für immer zu leben und einen magischen, allmächtigen Kumpel im Himmel zu haben? Definitiv. Und deshalb ist es wahr.
Logik im Zeugen-Jehova-Style.

"Wenn man der Bibel glauben kann, hat das Leben definitiv einen Sinn. Unser Schöpfer hat nämlich mit allen, die sich auf seine Seite stellen, Überwältigendes vor (Prediger 12:13). Er verspricht ein Leben ohne Kriege, Chaos und Korruption, eine Welt, in der es nicht einmal mehr den Tod gibt (Psalm 37:10, 11; Jesaja 25:6-8).
Millionen Menschen rund um den Globus sind davon überzeugt, dass es enorm bereichert, sich mit Gott zu beschäftigen und so zu leben, wie er es möchte (Johannes 17:3). So ein Glaube basiert nicht auf reinem Wunschdenken, sondern auf Tatsachen.
Und die Tatsachen sprechen für sich: Hinter allem Leben steckt ein genialer Schöpfer."

Wir Skeptiker müssen also einsehen, dass die Zeugen Jehovas Dinge nicht nur einfach behaupten, sondern mit Fakten belegen können. Leider werden uns die angeblichen "Tatsachen" nicht geliefert, da die schreckliche Propaganda-Broschüre mit diesen Worten endlich endet.

Komisch, wenn es doch gute Beweise für die Position der Zeugen geben würde, wäre diese Broschüre doch die ideale Plattform, uns mitzuteilen, was das denn jetzt genau für Beweise seien.
Stattdessen wird gegen die Evolutionstheorie-wie-Vollidioten-sie-verstehen argumentiert und einfach immer wieder behauptet, Wissenschaftler hätten keine Theorien für die angesprochenen Themen, mit Ausnahme von "reiner Zufall".
Die üblichen Beweise für Evolution, die sich in unserem Informations-Zeitalter wirklich einfach finden lassen, werden einfach völlig verschwiegen.

Als Alternative wird uns ein Buch vorgeschlagen, in dem Hexen, sprechende Esel, Riesen und Zombiehorden vorkommen und das gleichzeitig völlig mit den Erkenntnissen der Wissenschaft vereinbar ist.
Wenn Jehova das so sagt, wird es wohl stimmen!
Überzeugt?

(Hahaha, versteht ihr?! Überzeugt!)




4. April 2014

PROPAGANDA-FAKTENCHECK: Die Zeugen Jehovas


In dieser neuen Reihe überprüfen wir gemeinsam fantastische Propaganda von religiösen Gruppen auf ihren Wahrheitsgehalt. Wir beginnen mit der Broschüre "Das Leben - Reiner Zufall?" von den Zeugen Jehovas - hier als pdf zum download verfügbar.


Wie gewinnt man eine Debatte, die längst entschieden ist? Nun, da gibt es einige verbreitete hinterfotzige Methoden, die auf Verwirrung und Lügen basieren, anstatt auf Fakten und Aufklärung. Eine davon, die so genannte Strawman-Taktik, wird von den Zeugen bereits im Titel der Broschüre benutzt.
Dabei behauptet man einfach, dass sein Gegner eine bestimmte Meinung vertritt und argumentiert dagegen, geht aber auf die Argumente, die tatsächlich gemacht werden, gar nicht ein. Das geschieht entweder mit Absicht - da man weiß, dass man die wirkliche Debatte schon längst verloren hat - oder aber aus Dummheit, weil man die Theorien seiner Opponenten nicht versteht, trotzdem aber seine Klappe nicht halten kann.

Ohne nur eine einzige weitere Zeile außer dem Titel zu kennen, mache ich mal eine Vorhersage, die keine Nostramdamus-artigen Fähigkeiten bedarf: Die Zeugen werden in diesem Heft die Evolutions-Theorie derart falsch wiedergeben, dass die Argumente dagegen nur die Strohmann-Version betreffen, nicht aber echte wissenschaftliche Erkenntnisse.
Wenn man Biologen fragt, wie man den Reichtum an verschiedenen Lebensformen auf unserem Planeten erklären kann, werden sie wahrscheinlich etwas von natürlicher Auslese berichten, dem Schlüsselprozess der Evolution, der alles andere als zufällig ist. In der Fantasie der Zeugen Jehovas würde ein Wissenschaftler auf die selbe Frage allerdings mit einem Schulterzucken reagieren und sagen: "Die wissenschaftliche Position: Es war Zufall."


"Viele christliche Fundamentalisten behaupten, die Erde und alles Leben darauf sei in sechs buchstäblichen Tagen erschaffen worden, und das vor nur wenigen Tausend Jahren. Will man dagegen Atheisten glauben, dann gibt es keinen Gott, die Bibel ist ein Buch voller Mythen und das Leben ist ein reines Zufallsprodukt."

Hier kommt der nächste Strohmann: Atheisten glauben nicht an Gott, mehr nicht. Die meisten behaupten ganz und gar nicht, zu wissen, dass es keine Wesen gibt, die mit dem weit gefächerten Ausdruck "Götter" bezeichnet werden könnten. Wenn man wirklichen Atheisten "Glauben schenkt", dann glaubt man ihnen, dass sie nicht an Götter glauben. Mehr nicht.
Atheist zu sein, bedeutet auch nicht, an die Evolutionstheorie zu glauben. Und - wie bereits erwähnt: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Evolution zu akzeptieren, bedeutet in keiner Weise, das Leben als Produkt von Zufall anzusehen und auch nicht, die Existenz von Göttern auszuschließen. Die Wissenschaft bietet lediglich natürliche Erklärungen und macht Gott zum Verständnis bestimmter Dinge - wie Evolution - unnötig.

Ein weiterer geschickter Schachzug ist, es so aussehen zu lassen, als wären die Zeugen Jehovas keine Fundamentalisten, was ihrem öffentlichen Image total widerspricht:

"Von verschiedenen Wissenschaftlern werden die Zeugen Jehovas dem christlichen Fundamentalismus zugeordnet. [32][33][34][35]
[http://de.wikipedia.org/wiki/Zeugen_Jehovas]


Im ersten Kapitel wird lang und breit erklärt, dass die Erde für uns Menschen wirklich ein erstaunlich guter Lebensraum ist. Wäre die Erde oder das ganze Universum nur ein ganz klein wenig anders beschaffen, könnten wir dort nicht überleben.
Die Begründung dafür, laut Zeugen Jehovas: Gott hat die Erde speziell für unsere Bedürfnisse erschaffen. Mit Ausnahme der 70% des Planeten, der mit Wasser bedeckt ist. Und Wüsten. Und Nordpol und Südpol. Ohne menschliche Innovationen wie Kleidung ist noch ein größerer Teil unseres Planeten, inklusive Nordeuropa, ebenfalls unbewohnbar.
Der Beweis: Die Bibel sagt es so und Gott lügt ja nicht.

Die Erklärung der Wissenschaft für das selbe Phänomen: Komplexe Lebensformen wie der Mensch werden durch natürliche Auslese erschaffen. Das bedeutet, dass über kurz oder lang jeweils immer nur die am besten an ihre Umwelt angepassten Organismen überleben und ihre Gene weitergeben. Dieser Prozess ist beobachtbar und millionenfach bewiesen.
Und weil leider alle unserer Vorgänger kinderlos sterben müssen, sofern sie nicht gut genug an die Verhältnisse unserer Erde angepasst sind, ist es eben kein Wunder, dass wir Menschen nach mehr als drei Milliarden Jahren Evolution sehr gut an unsere Umwelt angepasst ist.
Die Zeugen dagegen behaupten das Gegenteil und meinen, dass nicht nur unser Planet, sondern gleich das ganze Universum nur mit dem Zweck erschaffen worden ist, dass wir dort wohnen können. Auch wenn 99,999999% des Universums für uns unbewohnbar ist. Ein wenig größenwahnsinnig, wenn ihr mich fragt.

Im nächsten Abschnitt wird uns berichtet, dass es Aber-Millionen von sehr unterschiedlichen Lebensformen gibt. So weit so gut. Aber dann ...

"Ist diese eindrucksvolle Vielfalt des Lebens durch bloßen Zufall entstanden?"

Nein. Durch Evolution.

Wir lernen ein weiteres Lieblings-Werkzeug von manipulativen Lügnern (oder Idioten) kennen: Das "falsche Dilemma". Dabei wird eine Situation auf zwei Möglichkeiten begrenzt, wenn es in Wahrheit nicht nur diese zwei gibt. In diesem Fall: Entweder man glaubt an Jehova oder an Zufall.
Ich fürchte, dieses falsche Dilemma wird einfach bis zum Erbrechen wiederholt - Repetition ist schließlich ein wichtiges Element in jeder Propaganda.

Und tatsächlich: Auch auf den folgenden Seiten wird uns kein einziges Argument gegen die Evolutionslehre geliefert, sondern immer nur gegen den Strohmann "Zufall". Z.B. hier:

"Ist es logisch anzunehmen, dass die beeindruckenden Formen und Strukturen in der Natur rein zufällig entstanden sind?"


So kommen wir nicht weiter ...

Wenn man sich die Situation genauer anschaut, sprechen die Argumente eher gegen die Position der Zeugen als für sie, wie üblich. Sicher, es gibt jede Menge Tiere, die beeindruckende Fähigkeiten haben. Dies kann man in beiden Szenarios erwarten, ob nun ein Schöpfer hinter dem Design steckt oder ob sich Individuen seit Jahrmilliarden durch natürliche Auslese entwickelt haben. Was man bei einem allmächtigen Schöpfer aber zusätzlich erwarten kann, ist, dass alle Lebewesen perfekt und ohne Baufehler sind. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nehmen wir den Menschen: Wir besitzen Überbleibsel unser Evolution, die uns nichts nützen. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, wie zum Beispiel die gute, alte Gänsehaut. Bei unseren stärker behaarten Vorfahren stellten sich dadurch die Haare auf, was sie bei Kälte besser kuschelig warm hielt und in Gefahrensituationen etwas größer erscheinen ließ. Ähnliches lässt sich unter anderem bei Hunden beobachten: Wenn sie nervös sind, stellen sie auf ihre Nackenhaare wie eine Irokesenfrisur auf, um potentielle Gegner zu beeindrucken. Andere Tiere haben unterschiedliche Strategien entwickelt, die die selbe Funktion erfüllen und das Individuum größer aussehen lassen als sie sind: Der Kugelfisch bläst sich beispielsweise mächtig auf, wie ein Luftballon.

Das Haare-zu-Berge-stehen-lassen funktioniert bei uns nackten Affen nicht mehr, dennoch bekommen wir eine Gänsehaut, wenn wir uns gruseln oder wenn uns sehr kalt ist. Wir haben Muskeln an den Ohren, die aber bei den meisten Leuten nicht kontrollierbar sind - im Gegensatz zu bestimmten Affen, die mit ähnlicher, aber stärkerer Muskulatur ihre Ohren bewegen und in die Richtung einer Klangquelle richten können. Wir haben einen Überrest eines Schwanzes, das Steißbein. Selbst der genetische Bauplan für einen kompletten Schwanz ist noch in unserer DNA vorhanden, er ist lediglich ausgeschaltet. Bei einigen Kindern wird jedoch durch Mutationen der alte Plan vom Schwanz (hinten) wieder eingeschaltet. Im Mittelalter hat man solche Babys in den Brunnen geworfen, weil man sie für vom Teufel verflucht hielt.
Heutzutage wird der Schwanz kurz nach der Geburt chirurgisch entfernt und wenn die Eltern einem das nicht erzählen, weiß man nie, dass man mal einen Schwanz hatte. Wahrscheinlich ist die heutige Methode doch etwas humaner.




Wie erklären die Zeugen Phänomene wie Atavismus - das Vorhandensein von ausgeschalteten Genen von Vorfahren? Warum werden ab und zu Hühnchen mit Zähnen geboren, wenn Vögel nicht von Tieren mit Zähnen abstammen? Warum ist das Design unserer Körper erstaunlich beeindruckend, nicht aber perfekt? Warum haben wir ein Organ wie den Blinddarm, ohne das man wunderbar leben kann, wie Millionen von Patienten mit entfernten Blinddarm seit der Erfindung der Notfallmedizin bewiesen haben? Nicht nur, dass der Blinddarm keinen wissenschaftlich erwiesenen Nutzen hat, er kann sich auch noch entzünden, was einen ohne medizinischen Noteingriff schmerzhaft umbringen kann ...
Wissenschaftler erklären dies damit, dass sich Organe, die ein Lebewesen nicht braucht, langsam zurückentwickelt. Das Schlüsselwort ist, wie eigentlich immer bei evolutionären Vorgängen: Langsam. Bevor das unnötig gewordene Organ ganz verschwunden ist, wird es von Generation zu Generation immer kleiner und verliert dabei irgendwann jegliche Funktion. Das erklärt beim Menschen den Blinddarm, das Steißbein, Ohrmuskeln und die Weisheitszähne, beim Kiwi verkümmerte, nutzlose Flügelchen und beim Maulwurf die Augen.
Die Zeugen erklären diese Phänomene einfach gar nicht und verschweigen ihre Existenz. Auch eine Methode. Keine gute allerdings, fürchte ich.



„Die Evolution ist genauso ein Fakt wie die Tatsache, dass die Sonne heiß ist“, behauptet Professor Richard Dawkins, ein bekannter Evolutionsbiologe. Dass die Sonne heiß ist, lässt sich durch Experimente und direkte Beobachtungen belegen. Ist die Evolutionslehre aber ebenso eindeutig zu beweisen?"

Ja, durchaus. Evolution ist beobachtbar und nicht erst seit gestern. Siehe, z.B. hier.

Aber irgendwie glaube ich nicht, dass die Zeugen das wissen oder wissen möchten. Wieso nicht stattdessen einfach ein paar mehr Lügen über die Evolutionstheorie verbreiten?
So werden drei angebliche Mythen der Evolution präsentiert.

Übersehen wird dabei oft, dass die Evolutionslehre eigentlich auf drei Mythen beruht.
Mythos 1: Mutationen sind die Ausgangsbasis für die Entstehung neuer Arten.

Es wird behauptet, Menschen hätten trotz intensiver Bemühung niemals experimentell nachweisen können, dass genetische Mutationen zur Entstehung einer neuen Spezies geführt hat. Dazu lässt sich nicht viel entgegnen, außer dass es absoluter Schwachsinn ist.

Wenn also schon hochintelligente Wissenschaftler nicht in der Lage sind, neue Arten zu schaffen, indem sie Mutationen künstlich herbeiführen und positive Mutationen auswählen, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass durch bloßen Zufall, sprich ohne Intelligenz, so etwas zustande kommt?

Um durch künstlich herbeigeführte genetische Veränderung neue Arten zu erschaffen, muss man weder Wissenschaftler sein, noch hochintelligent. Unsere Vorfahren haben das vor tausenden Jahren auch ohne Universitätsstudium geschafft und haben so beispielsweise das gemeine Schaf erschaffen.
Das domestizierte Schaf stammt von einem Tier namens "Ovis Orientalis" ab, kann mit ihm aber keinen fruchtbaren Nachwuchs zeugen, was automatisch bedeutet, dass es nicht die selbe Spezies ist.
Nur wenn zwei Tiere Kinder haben können, die sich wiederum selbst auch fortpflanzen können, nur dann handelt es sich bei den beiden um Vertreter der selben Spezies.
So sind Löwen und Tiger unterschiedliche Spezies, da sie zwar ultracoole Nachkommen zeugen können (Töwe oder Liger), diese aber stets unfruchtbar sind. Das selbe gilt für Esel und Pferde, deren Kinder (Maultier oder Maulesel) ebenfalls steril sind.

Ich hoffe, ich muss zu dem "bloßen Zufall"-Schmarr'n nicht mehr sagen, ich habe nur (einige) der Wiederholungen des immer gleichen Unsinns zitiert, um mal aufzuzeigen, mit welchen billigen Tricks die Zeugen versuchen, Leute für dumm zu verkaufen.

Ich hoffe, ich muss zu dem "bloßen Zufall"-Schmarr'n nicht mehr sagen, ich habe nur (einige) der Wiederholungen des immer gleichen Unsinns zitiert, um mal aufzuzeigen, mit welchen billigen Tricks die Zeugen versuchen, Leute für dumm zu verkaufen.

Ich hoffe, ich muss zu dem "bloßen Zufall"-Schmarr'n nicht mehr sagen, ich habe nur (einige) der Wiederholungen des immer gleichen Unsinns zitiert, um mal aufzuzeigen, mit welchen billigen Tricks die Zeugen versuchen, Leute für dumm zu verkaufen.


Mythos 2: Durch natürliche Auslese entstehen neue Arten. 
Der Begriff „natürliche Auslese“ geht auf Darwin zurück. Danach könnten sich die bestangepassten Lebewesen behaupten, während die weniger gut angepassten irgendwann aussterben würden. Evolutionsforscher gehen davon aus, dass sich bestimmte Arten ausbreiteten und dabei isolierte Populationen bildeten. Die natürliche Auslese habe dann dafür gesorgt, dass nur die Organismen überlebten, die durch ihre Genmutationen in der neuen Umgebung im Vorteil waren. Aus den isolierten Populationen sollen sich so im Lauf der Zeit völlig neue Arten entwickelt haben.

Eine erstaunliche korrekte Definition des Begriffs, bis auf den unnötigen Konjunktiv. Also wisst ihr doch, liebe Zeugen, dass die wissenschaftliche Erklärung nicht "Reiner Zufall" ist. Warum nicht gleich so?

Das Gegenargument ist absurd: Es wird ein prominentes Beispiel, die so genannten "Darwin-Finken" erwähnt und dann einfach behauptet es handele sich nicht um Artenbildung, da die Darwin-Finken sich untereinander paaren können - was absolut nicht stimmt und Wissenschaftlern sicherlich ohne die Hilfe der Zeugen Jehovas aufgefallen wäre, wenn es wahr wäre ...


Der dritte "Mythos" ist übrigens, dass gefundene Fossilien ausnahmslos die Evolutionslehre stützen würde. Man hatte wohl keine Lust mehr auf Strohmänner und ist direkt in schamlose Lügen übergegangen. Herzlichen Glückwunsch, Zeugen!


"An den Fossilfunden kann man erkennen, dass sich die verschiedenen Arten über lange Zeiträume nur sehr minimal verändert haben."

Das ist purer Unsinn.

Siehe, z.B.:




Die Evolution des Wals


Die Evolution des Pferdes



Die Evolution des Menschen


Zusätzlich wird das Bullshitlevel-o-meter in die Höhe getrieben, indem die Begriffe "Mikroevolution" und "Makroevolution" eingeführt werden. Laut Zeugen könne "Mikroevolution" beobachtet werden, also geringfügige, vorteilhafte genetische Veränderungen von Tieren innerhalb einer Spezies, nicht aber die Bildung einer neuen Art.

In Wirklichkeit ist Makroevolution und Artenbildung nichts anderes als eine Reihe von mikroevolutionären Schritten. Dies lässt sich am besten mit dem speziellen Fall der Ring-Spezies erläutern.



Der Name "Ring-Spezies" ist ziemlich irreführend, da es absolut bedeutend ist, dass der Ring sich nicht schließen lässt und eher ein Hufeisen ist.
Es handelt sich dabei um ein oft beobachtetes Phänomen, zum Beispiel bei bestimmten Vogelarten. Eine Spezies siedelt sich an Punkt A (siehe Illustration oben) an und verbreitet sich langsam im Halbkreis. Allerdings nur in eine Richtung, da es keine Landverbindung zwischen A und Z gibt.
Die Bewohner von B sind der Ursprungsbevölkerung genetisch ziemlich ähnlich, aber nicht gleich. Das selbe gilt für B und C, C und D, D und E, usw. Doch die kleinen Veränderungen (Mikroevolution) summieren sich, so dass A und Z derart unterschiedlich sind, dass sie keine Kinder kriegen können, auch wenn man sie in das selbe Wohngebiet bringen würde.

A und Z sind also nicht die gleiche Spezies - sie können keine Nachkommen produzieren. Aber wo ist die Grenze von einer Spezies zur anderen? Da Nachbarn sich immer paaren können, lässt sich keine ziehen. Wir können nur sinnvoll von "Spezies" oder "Art" reden, wenn wir zwei Lebewesen vergleichen.

Das ist nicht nur bei Ringspezies so - Kinder werden niemals eine verschiedene Spezies sein als ihre Eltern.
Da sie jedoch auch nicht identisch sind, gibt es kleine Veränderungen, die sich über einen sehr langen Zeitraum anhäufen. Und irgendwann ist die neue Generation genetisch so unterschiedlich im Vergleich zu ihren Ur-ur-ur-ur-...-urgroßeltern, dass sie einer verschiedenen Spezies angehören.
Das heißt, wenn Zeitmaschinen erfunden werden, können wir eventuell unseren Ödipuskomplex ausleben und unsere Mütter schwängern und so unser eigener Vater werden, wir könnten auch unser eigener Großvater werden - wir können allerdings niemals unser eigener Ur-ur-ur-ur-ur-ur-...-großvater werden, dies ist genetisch unmöglich.
Gut zu wissen, so für die Zukunft.

Leider verstehen die Autoren der Proganda-Broschüre dies nicht einmal annähernd:

Man muss auch glauben, dass alle komplexen Lebensformen durch Mutationen und natürliche Auslese entstanden sind, obwohl hundert Jahre Forschung gezeigt hat, dass sich durch Mutationen keine einzige klar definierte Art in eine ganz andere verwandelt hat.

Niemand behauptet, dass eine Art sich in eine andere "verwandelt". Magie ist die Erklärung der Bibel, nicht die der Wissenschaft.
Aber das kleine genetische Veränderungen über eine gewissen Zeitraum hinweg zu Bildung neuer Spezies führen, muss man nicht glauben, das ist tausendfach bewiesen.
Natürlich haben die Zeugen, deren Ansichten auf nichts als Wunschdenken beruht ein großes Interesse, es so aussehen zu lassen, als würde Evolution ebenso auf unbewiesenen Behauptungen aufgebaut sein und man es glauben kann oder auch nicht.

"Letzten Endes ist also auch die Evolution eine „Glaubenssache“."

Das Problem ist nur, dass das nichts mit der Realität zu tun hat, aber das stört streng-religiöse Menschen eher selten.



Zusätzlich bekommen wir in der Broschüre immer wieder Zitate von "Experten":

„Wenn das Ökosystem der Erde wirklich nur durch Zufall entstanden wäre, hätte das Gleichgewicht in der Natur niemals ein so absolut hohes Niveau erreichen können“, schreibt der Theologe und Wissenschaftsautor M. A. Corey.

Nur weil ein Mensch mit einem akademischen Titel etwas behauptet, wird es dadurch natürlich nicht wahrer. Doch genau das sollen wir glauben.
Dabei geht die Strategie nach hinten los, wenn man sich die Qualifikationen der angeblichen Fachleuten ansieht, die hier zitiert werden. M.A.Corey zum Beispiel, der uns gerade etwas vom Ökosystem der Erde erzählt hat: Welche akademische Qualifikationen hat der Gentleman wohl?
Hat er einen Abschluss in Biologie oder Ökologie in Harvard, Oxford oder der Sorbonne gemacht? Mit nichten: Er hat keinen akademischen Grad in irgendeiner Naturwissenschaft, sondern nur einen Theologie-Abschluss an einer Privat-Uni.
Das bedeutet natürlich nicht, dass er automatisch unrecht hat. Aber wenn man schon versucht, durch angebliche "Experten" biblische Sichtweisen einen Anschein von akademischer Glaubwürdigkeit zu verleihen, dann sollte man sich doch ein kleines bisschen mehr Mühe geben ...




FAZIT:

Die Hauptstrategie der Propaganda ist, die Leser von der Existenz eines falschen Dilemmas zu überzeugen: Entweder die Erklärung der Zeugen (Bibel) ist korrekt, oder aber es gibt keine Erklärung und alles basiert auf reinem Zufall.
Durch ständige Wiederholung wird uns diese absurde Sichtweise eingebleut: Entweder ist die Erde durch einen Gott erschaffen, aber natürlich nicht irgendeinem, sondern dem christlichen, und auch nicht irgendeinem christlichen Gott, sondern der speziellen Interpretation der Zeugen Jehovas. Oder aber das Leben ist völlig willkürlich und unterliegt keinerlei Gesetzen.

Sind die Autoren einfach wissenschaftlich unterbelichtet oder lügt man hier offensichtlich? Die Tatsache, dass ständig davon die Rede ist, dass Evolution das selbe ist wie "reiner Zufall", lässt auf letzteres schließen (wobei ich ersteres damit nicht völlig ausschließen will).
Relativ spät wird der Prozess der natürlichen Auslese ziemlich korrekt erklärt. Dies zeigt, dass die Autoren eben doch wissen, dass die wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung der Arten nicht "bloßer Zufall" ist, was sie wieder und wieder so aussehen lassen.

Es ist eigentlich schon ein wenig traurig, dass es auch im 21. Jahrhundert in Westeuropa Menschen gibt, die die Evolutionslehre nicht akzeptieren. Und dass, obwohl sie noch nicht einmal das geringste Grundverständnis davon haben, was sie eigentlich bedeutet.


28. März 2014

CHAOS-THEORIE: Eine (vier) Kurzgeschichte(n)


Freitag, 13.9.2013 
SCHNICK

Mario saß gerade mit einem Bier auf der Couch und sah “SpongeBob“, als Thomas mit Einkaufstüten in der Hand zur Tür hereinkam.
„Hast du Kaffee mitgebracht?“, erkundigte sich Mario. „Oh, sorry, hab ich vergessen.“ entgegnete Thomas wenig reumütig. „Bitch!“, kommentierte Mario.
 In diesem Moment begann das Telefon zu klingeln. „Dann geh wenigstens ans Telefon.“
„Geh du doch ans Telefon.“, konterte Thomas. 
Dem setzte Mario schlagfertig entgegen: „Ich geh' … zu deiner Mutter!“
„So kommen wir nicht weiter.“, meinte Thomas nachdenklich, während das Telefon noch immer klingelte. „Schnick-Schnack-Schnuck?“ 
„Okay. Aber ohne Brunnen.“ erklärte sich Mario einverstanden. 
Und so begann das Spiel. 

Schnick.. Schnack.. Schnuck! 
Mario entschied sich für den Stein und besiegte damit Thomas' Schere. Da Thomas die Autorität von Schnick-Schnack-Schnuck akzeptierte, ging er ans Telefon. Da er ein schlechter Verlierer war, machte er dabei aber keinen guten Job und ein Gesicht wie sieben Jahre Regenwetter. Während des Telefongesprächs erhellte sich seine Miene jedoch wieder deutlich.
„Hallo? ... Hi, Hans. ... Aha, ja ... Cool ... Das klingt doch nach Spaß! Warte mal eine Sekunde ...“ Thomas richtete sich an Mario, der wieder mit seinem „SpongeBob“-Cartoon beschäftigt war: „Hey Mario, hast du am Sonntag Zeit? Dicke Party?“
Der dachte kurz nach und entgegnete: „Ich hab noch nichts vor.“
„Das trifft sich doch gut.“, freute sich Thomas und richtete Hans aus: „Also ich habe leider schon was geplant, aber der Mario hat Zeit. ... Gut, bis dann.“
Nachdem Thomas sein Gespräch beendet hatte, informierte er Mario pflichtbewusst: „Du musst dem Hans am Sonntag beim Umzug helfen.“
„Du hast mich reingelegt, du dummer Wichser!“, argumentierte Mario sachlich. In diesem Augenblick erinnerte Thomas sich: „Oh, mir fällt gerade ein, ich hab wirklich schon was vor am Sonntag. Kannste mal sehen.“
„Aha. Und? Was machst du denn so am Sonntag?“ heuchelte Mario Interesse vor. 
„Kennst du noch die Arabella?“ 
„Die mit dem Putzfimmel? Ich dachte, das wäre schon längst vorbei.“
„War es auch, eigentlich. Aber letztens haben wir uns zufällig wiedergetroffen und haben ein wenig geredet, ein wenig gelacht und na ja ... Es lief irgendwie gut.“
„Faszinierend.“, log Mario.
„Na ja, auf jeden Fall kommt die am Sonntag vorbei. Ich wünsch' dir aber auf jeden Fall viel Spaß beim Umzug, das klingt doch nach total viel Spaß, oder?“, bemerkte Thomas hämisch.
Mario präsentierte seinen Mittelfinger und meinte mit finsterer Miene: „Weißt du was?! Scher' dich doch dahin, wo der Teufel wächst!“

In Hans' neuer Wohnung baute Mario gerade das letzte Regal auf, als die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer auf die Wohnung gegenüber gelenkt wurde. Eine sehr attraktive junge Dame fing an, sich dort verführerisch hinter nicht existierenden Vorhängen auf dem Teppich zu räkeln.
„Hey Mario, schau mal da drüben!“, machte Hans seinen Umzugshelfer auf die Sehenswürdigkeit aufmerksam, wobei er nach dem letzten Wort vergaß, wie gemeinhin üblich, seinen Mund wieder zu schließen.
„Wow!“, staunte Mario nicht schlecht. „Wow!“
„Was macht die da? Ist das Yoga oder was?“
„Mir egal, was es ist. Es ist auf jeden Fall ziemlich sexy.“, fand Mario und glotzte weiter wie ein tollwütiges Eichhörnchen.
„Hmmmm ... Sorry, ich glaube, du musst jetzt leider gehen.“, murmelte Hans in Gedanken versunken. „Ist das Regal fertig?“
„Ja.“, beantwortete Mario Hans' Frage, was auch immer die gewesen sein mag.
„Das hält doch niemals!“, vermutete Hans nach einer kurzen Inspektion des schiefen Regals.
„Was?“, erwiderte Mario abwesend. „Ach so. Ne, das hält auf jeden Fall.“
„Bist du dir sicher?“, nervte Hans weiter.
„Ich schwöre es beim Grab deiner Mutter.“, versicherte Mario.
„Na gut. Dann vielen Dank für die Hilfe! Das war echt cool von dir.“, lobte Hans Mario. „Und jetzt verschwinde aus meiner Wohnung! Ich hab noch ... zu tun ...“
Als Mario gerade die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte, hörte er plötzlich in der Wohnung einen lauten Knall, gefolgt von Hans' schmerzerfüllten Schreien.

Währenddessen saßen Arabella und Thomas in der WG bei einem Glas Rotwein zusammen.
„Sorry, dass es so unaufgeräumt ist. Ich mache fast jeden Tag sauber, aber mein blöder Mitbewohner macht alles immer wieder sofort schmutzig.“
„Mach dir darüber mal keinen Kopf, Thomas. Ich weiß, ich hab so 'ne Art Putzfimmel, aber das ist meine Sache. Ich will nicht, dass andere sich deswegen Stress machen.“
„Oh.. Okay. Aber hast du nicht auch eine Hausstauballergie?“
„Dagegen nehme ich Medikamente.“
„Ach so ...“ 
„Lass uns über etwas anderes reden. Was hast du denn für heute noch so geplant?..“ zwinkerte Arabella Thomas verführerisch zu.
„So einiges! Glaub mir, ich hab für heute noch die ein oder andere romantische Überraschung geplant ...“, log Thomas enthusiastisch. 
In diesem Moment begann das Telefon zu klingeln.
„Willst du nicht drangehen?“, fragte Arabella. „Ach, lass es klingeln.“, entschied Thomas. 
„Und wenn es wichtig ist?“, wollte Arabella wissen. Da Thomas den Eindruck erwecken wollte, hin und wieder wichtige Anrufe zu erhalten, nahm er lässig den Hörer ab (indem er auf den entsprechenden Knopf drückte). „Hallo?“
„Hey, hier ist der Mario. Kannst du noch Autofahren?“
„Ich kann schon. Warum sollte ich?“
„Der Hans hatte einen kleinen Unfall. Er will, dass wir ihm ein paar Sachen ins Krankenhaus vorbeibringen. Ich bin aber zu besoffen, um Auto zu fahren.“
„Tut mir leid, aber ich bin beschäftigt. Und nichts, was du sagen könntest, wird meine Meinung ändern.“

Einige Zeit später saßen Thomas und Mario in Hans' neuer Wohnung und beobachteten die Nachbarin, die wieder ohne Vorhänge Yoga-Übungen machte.
„Du hattest Recht, ausnahmsweise.“, stellte Thomas fest, „Es hat sich echt gelohnt, mein Date zu verschieben.“
„Sag' ich doch.“, hörte Mario am Rande seiner Aufmerksamkeit Worte aus seinem Mund kommen. „Wie war's denn?“
„Gut.“, entgegnete Thomas nach ein paar Sekunden.
„Cool.“, fand Mario nach einer ausgedehnten Sprechpause.
„Hmmm.“
„Wir.. sollten los. Der Hans wartet bestimmt schon.“
„Ja.“
„Vielleicht in ein paar Minuten?“
„Okay … Haben wir denn alles?“
„Glaub schon. Das Wichtigste auf jeden Fall.“, erklärte Mario, auf die beiden Six-Packs Bier hinweisend.
„Dann lass uns gehen.“
„Gut.“
„Gleich.“
„Vielleicht sollten wir überprüfen, ob das Bier noch gut ist. Wir wollen dem armen Hans ja kein schales Bier anbieten.“
„Gute Idee!“, meinte Thomas, während er zwei Flaschen Bier öffnete. „Der Hans kann auf jeden Fall noch ein paar Minuten warten. In seinem Interesse.“

Hans sollte den ganzen Abend vergeblich auf seine Sachen warten. Er vertrieb sich die Zeit damit, Gespräche mit seinem neuen Zimmergenossen zu führen, einem netten, älteren Mann mit lebendigen stahlblauen Augen, der im Krankenhaus lag, weil er am Nachmittag von einem Reisebus angefahren wurde. 
Am nächsten Morgen wurde Hans entlassen. Er war soweit in Ordnung, bis auf zwei gebrochene Mittelfinger, die eingegipst aus seinen Händen hervorragten wie eine unerwünschte Erektion bei Großmutters Geburtstagsfeier – und Hans beinahe genauso sehr störten.
Seine Wohnung sah chaotisch aus. Das kaputte Regal lag immer noch am Boden, daneben zwölf leere Bierflaschen. Doch all das war ihm völlig egal, als er durch sein Fenster die spärlich bekleidete Nachbarin erspähte, die mal wieder Yoga machte. 
Sie bemerkte ihn an seinem Fenster und winkte ihm freundlich zu. Hans winkte zurück, doch durch seinen Gips sah es in der Silhouette so aus, als würde er ihr den Stinkefinger zeigen. 
Um bei der Wahrheit zu bleiben: Sein Finger stank tatsächlich ziemlich unter dem Gips, aber beleidigen wollte er die hübsche Dame eigentlich nicht. 
Blöderweise sah die das etwas anders, löschte mit finsterer Miene das Licht in ihrer Wohnung und kaufte sich am nächsten Tag Jalousien. 
Und so war der Traum von der perfekten Wohnung geplatzt, bevor er richtig begann.

Doch Hans sollte die Yoga-Frau niemals in seinem Leben vergessen. Noch seinen Enkeln erzählte er  am digitalen Lagerfeuer von der schönsten Zeit seines Lebens. Da die Privatsphäre zu diesem Zeitpunkt längst abgeschafft war, erfuhren bald alle Menschen von der ermutigenden Geschichte der Yoga-Frau und verbreiteten sie weiter. 
Mit jeder Generation wurden die Storys fantastischer und absurder. Mit der Zeit entwickelte sich eine organisierte Religion um die große mysteriöse Yoga-Frau, die in den Augen ihrer Anhänger für gegenseitige Toleranz und unbedingte Friedfertigkeit steht. Einen Tag später besorgte sich die Glaubensgemeinschaft Waffen, um in fremde Länder einzumarschieren und den Leuten ihren falschen Glauben auszutreiben.


Freitag, 13.9.2013 
SCHNACK

Mario saß gerade mit einem Bier auf der Couch und sah „SpongeBob“, als Thomas mit Einkaufstüten in der Hand zur Tür hereinkam: „Hast du Kaffee mitgebracht?“
„Oh, sorry, hab ich vergessen.“ 
 In diesem Moment begann das Telefon zu klingeln. „Bitch!.. Dann geh wenigstens ans Telefon.“
„Geh du doch ans Telefon.“  
„Ich geh'.. zu deiner Mutter!“ 
„So kommen wir nicht weiter. Schnick-Schnack-Schnuck?“ 
„Okay. Aber ohne Brunnen!“  
Und so begann das Spiel. 

Schnick.. Schnack.. Schnuck! 
Mario entschied sich für das Papier und unterlag damit Thomas' Schere. Übellaunig ging Mario ans Telefon, hörte eine Weile zu  und gab dann den Hörer an Thomas weiter: „Ist für dich.“
Bedauerlicherweise war Thomas der Sieg beim Schnick-Schnack-Schnuck-Spiel kurz zuvor derart zu Kopf gestiegen, dass er zeitweise nicht klar denken konnte. Und so fiel ihm spontan keine Ausrede ein und er willigte er ein, Hans beim Umzug zu helfen. „Okay, dann sehen wir uns am Wochenende. Ich geb' dir noch mal den Mario, der hat bestimmt auch Zeit.“ 
Er hielt Mario das Telefon vor die Nase. „Für dich.“
Mario nahm das Gerät und rief laut hinein: „Hans?! Hallo?! Hörst du mich?.. Hallo?! … Ich glaube, die Verbindung bricht gerade ab ... schlecht ... verstehen ... Hallo?! … Tunnel ... “ Mario imitierte ein immer lauter werdendes Rauschen und beendete daraufhin das Telefonat. 
„So, das wäre damit erledigt. Viel Spaß beim Umzug, übrigens.“
„Wichser.“
„Tja, wie sagt man doch so schön?“ erinnerte Mario Thomas. „Wer anderen eine Grube gräbt, der lacht am Besten.“ 
Daraufhin brach Mario in lautes Gelächter aus.

In Hans' neuer Wohnung baute Thomas gerade das letzte Regal auf, als die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer auf die Wohnung gegenüber gelenkt wurde. Eine sehr attraktive junge Dame fing an, sich dort verführerisch hinter nicht existierenden Vorhängen auf dem Teppich zu räkeln.
„Hey Thomas, schau mal da drüben.“
Als Thomas die Frau erblickte, begann er zu grinsen wie ein Honigkuchenelefant.
„Was macht die da? Ist das Yoga oder was?“ Hans stierte wie eine Gummipuppe mit offenen Mund freudig auf das Spektakel.
Thomas begann derweil die Nachbarin mit seinem Smartphone zu filmen. „Kannst du mal die Fresse halten? Ich muss mich konzentrieren.“
Eine halbe Ewigkeit sagt keiner der beiden etwas. 
„Was ist mit dem Regal?“, fragte Hans schließlich.
Thomas war genervt. „Häh?! Das ist fertig, siehst du doch.“
„Das hält doch niemals!“, vermutete Hans nach einer kurzen Inspektion des schiefen Regals.
„Willst du mich verarschen? Natürlich hält das. Pass auf ...“ Thomas schlug demonstrativ gegen das Regal, um dessen Standhaftigkeit zu beweisen, woraufhin das Regal ein krächzendes Geräusch von sich gab, nicht aber zusammenbrach.
„Siehst du? Aber wieder mal typisch, dass du meine handwerklichen Fähigkeiten in Frage stellst. Ich glaube, eine Entschuldigung wäre angebracht. Denn …“
Thomas wurde von dem lauten Krachen unterbrochen, dass das Regal verursachte, als es auf ihn zusammenkrachte.

Währenddessen stand Arabella vor der WG und betätigte erwartungsvoll die Klingel. Nach einiger Zeit öffnete Mario die Tür. „Hallo! Sorry, ich kauf' nichts.“ 
Daraufhin knallte er ihr die Tür vor der Nase zu. 
Arabella stand kurz verdutzt da und klingelte dann erneut. 
Die Tür öffnete sich ein zweites Mal. „Na guuut. Dann kauf' ich halt doch was. Was hast du denn anzubieten?“
„Äh.. Hallo. Ich wollte eigentlich zu Thomas.“
Mario zuckte mit den Schultern. „Sorry, der ist nicht da. Kommt erst abends wieder, glaube ich.“
Arabella wurde sauer. „Was für ein Idiot!“
„Ja, das musst du mir nicht sagen. Soll ich was ausrichten?“
Sie überlegte eine Weile. „Na ja … Sag ihm, dass … ähm ...“
Mario unterbrach ihren Gedankenfluss: „Okay. Tschüss!“ Schon wieder stand Arabella vor verschlossener Türe. 
Wieder allein in der WG, machte Mario sich auf dem Weg zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen und dachte sich dabei, dass die Vertreterin zwar sehr nett gewesen war, nicht aber besonders gut in ihrem Beruf.

Wütend darüber, dass Thomas nicht da war und sie nichts verkauft hatte, ging Arabella schnellen Schrittes durch das Treppenhaus. Sie verließ das Gebäude und lief auf die Straße, den Blick auf ihr Handy gerichtet, mit dem sie erfolglos versuchte, Thomas zu erreichen. Wegen dieser Ablenkung bemerkte sie den roten Reisebus, der auf sie zuraste, erst sehr spät, doch gerade noch rechtzeitig, um im letzten Moment aus dem Weg zu springen.
Ein Passant zehn Meter hinter ihr hatte weniger Glück: Bei dem Ausweichmanöver erwischte ihn der Bus und schleuderte ihn durch die Luft. Er kam mit einem blauen Auge davon – was besser klingt, als es war. Denn vor dem Unfall hatte er immerhin zwei blaue Augen.

Als die junge Dame verschwunden war, (von der Mario das verrückte Gefühl hatte, sie von irgendwo her zu kennen,) machte er sich einen ganz besonderen Nachmittag. Er setzte sich vor den Fernseher und begann Bier zu trinken. Dieser Teil ist wie an jeden anderen Tag. Das, was es besonders machte, war die Vorstellung, dass Hans und Thomas gerade arbeiten mussten und er nicht.
Plötzlich klingelte das Telefon. Mario ging ran. „Hallo?!.. Aha ... Okay ... Kein Problem. In welchem Krankenhaus bist du?..“
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, stand Mario vor der wichtigen Entscheidung, ob er zuerst die Flasche Rum öffnen sollte oder doch lieber erst mal Wodka. 
Nach seinem ersten Cola-Rum-Wodka-Mischgetränk konnte er das schreckliche Gefühl, etwas Wichtiges zu vergessen, endlich abschütteln und den Tag genießen – wie er sich das verdient hatte.

Einige Zeit später kam Hans vorbei und störte Marios wohlverdiente Ruhe. Er erzählte irgendwas – Mario hört nicht hin – und ging dann in Thomas' Zimmer. Etwas später kam er mit einer Reisetasche in der Hand zurück und erzählte noch mehr langweilige Sachen. Doch plötzlich hörte Mario auf: Hatte Hans da etwas von einer heißen, halbnackten Frau gesagt? Wieso rückte er denn nicht direkt mit den wirklich wichtigen Infos heraus?!

Nachdem Mario Hans davon überzeugen konnte, dass Thomas jetzt erst mal seine Ruhe brauche und nicht gestört werden dürfe, besuchten die beiden Hans' neue Wohnung.
Hans kehrte gerade aus der Küche zurück, als das Licht im Fenster der Nachbarin erleuchtete und die Show begann.
„Kannst du mich daran erinnern, dass ich in zwei Minuten die Steaks in der Pfanne umdrehe?“, bat Hans. „Klar!“, versicherte Mario.
Eine halbe Stunde später bemerkten Hans und Mario einen verdächtigen Gestank, der aus der Küche zu kommen schien. Dort angekommen, mussten die beiden feststellen, dass die Steaks in Flammen standen.
Mario wusste, was zu tun war. „Jetzt nur keine Panik. Klar denken, Okay? …“ Er begann, aufgeregt wie ein Hühnchen auf Koks ziellos durch die Küche zu schreiten. „Ich hab's! Wir löschen das Feuer einfach ...“, Mario nahm eine Flasche Doppelkorn aus dem Schrank, schaute kurz auf das Label und entschied dann: „ … damit!“. 
Nachdem Mario das Feuer gelöscht hatte, war es seltsamerweise größer als zuvor. Es gibt wohl Dinge zwischen Himmel und Erde, die selbst die moderne Wissenschaft nicht erklären kann.
Plötzlich hatte Hans einen Einfall und schlug ruhig und gefasst vor: „Wir brauchen einen Feuerlöscher oder so was.“ 
Mario gab ihm eine schallende Ohrfeige. „Was du sagst, ergibt keinen Sinn! Du stehst wahrscheinlich unter Schock. Versuch, wieder vernünftig zu werden! Wir brauchen Ideen … “
„Ich glaube, im Keller ist ein Feuerlöscher.“, überlegte Hans laut. 
Mario ohrfeigte ihn erneut. 
„Ich weiß!“, rief Mario triumphal aus. „Wir ersticken das Feuer einfach!“
Nachdem er zunächst die Vorhänge und dann einen Stapel alter Zeitungen auf die Flammen geworfen hatte, musste Mario ein ernstes Wörtchen mit Hans reden: „Mann, denk doch auch mal nach! Oder muss ich ganz allein auf alle guten Ideen kommen?!“

So wurde Hans schließlich obdachlos. Die Feuerwehr war zwar schnell vor Ort, leider aber wurden die Feuerwehrmänner abgelenkt, durch eine attraktive Dame im Nebenhaus, die seelenruhig Yoga-Übungen vollführte, ohne das Feuer gegenüber zu bemerken. 
Letztendlich brannte das Gebäude bis auf seine Grundmauern nieder. Da der Hausbesitzer kein Geld ausgeben wollte, blieb die Ruine einige Monate lang so stehen. Landstreicher und Jugendliche besetzten den verwüsteten Ort. Nach und Nach entwickelten sich Legenden rund um das verfallene Haus. Wenn man Glück hat, so sagt man es jedenfalls, könne man von hieraus an manchen magischen Abenden die geheimnisvolle sexy Yoga-Lady sehen … 
Einige behaupten, wenn das geschehe, habe man drei Wünsche frei. Andere sagen, wer die Frau anblicke, der müsse sicherlich bald sterben.
An warmen Lagerfeuern trifft man sich bis auf den heutigen Tag auf eine gemütliche Spritze Heroin und erzählte den Mythos weiter und weiter.
Vernunftmenschen halten die Geschichte dagegen für erfunden. Die Vorstellung sei zu schön um wahr zu sein, meinen sie. Und: Wer direkt in die Sonne schaut, ruiniert seine Augen.
Vielleicht haben sie alle recht.

Thomas sollte den ganzen Abend vergeblich auf seine Sachen warten. Er vertrieb sich die Zeit damit, Gespräche mit seinem neuen Zimmergenossen zu führen, einem netten, älteren Mann, der im Krankenhaus lag, weil er am Nachmittag von einem Reisebus angefahren wurde. 
Am nächsten Morgen wurde Thomas entlassen. Sein rechter Arm war gebrochen und stand ausgestreckt und eingegipst aus seinem Oberkörper hervor wie eine Erektion bei Großmutters Geburtstagsfeier –  nur weit weniger spaßig.
Im Krankenhaus war ihm eingefallen, dass er sein Date mit Arabella versäumt hatte und rief sie an – wobei er den Termin seiner Einlieferung in seiner Version ein paar Stunden vorverlegte. Es brauchte einiges an Überzeugungsarbeit. Erst als Thomas ihr anbot, sie könne ihn im Krankenhaus besuchen, glaubte die extrem skeptische Arabella endlich seinen Lügen. Sie einigten sich auf einen neuen Termin für ein Date.

Thomas war zu früh am verabredeten Treffpunkt, einem schicken Kaffee in Mitte, und bestellte sich einen Kakao. Während er in seine Tasse schaute, träumte er von Arabella – seiner exotischen Schönheit, mit ihrem süßen Lächeln und ihrer sanften Haut, die in etwa die Farbe seines Getränkes hatte. Diesmal würde ihrem Glück sicher nichts im Wege stehen!
Er bemerkte Arabella schon von weitem. In großer Vorfreude erhob er seinen steifen, eingegipsten rechten Arm zum Gruß, woraufhin Arabella stehenblieb und spontan wieder verschwand.
Erst in diesem Augenblick bemerkte Thomas, dass seine Begrüßungsgeste aus der Ferne leider ziemlich nach einem Hitlergruß aussah. 
Sein Hitler-Kakaobart war auch nicht gerade hilfreich. 


Freitag, 13.9.2013 
SCHNUCK

Mario saß gerade mit einem Bier auf der Couch und sah „SpongeBob“, als Thomas mit Einkaufstüten in der Hand zur Tür hereinkam. Nachdem Mario erfahren musste, dass Thomas einmal wieder vergessen hatte, Kaffee zu kaufen, begann das Telefon zu klingeln. 
Da keiner von beiden drangehen wollte, einigten sie sich darauf, die Sache wie Männer zu regeln und begannen ein heißes Stein-Schere-Papier-Duell und so begann das Spiel.

Schnick.. Schnack.. Schnuck! 
Mario entschied sich für die Schere, ebenso wie Thomas. 
Schnick.. Schnack.. Schnuck! 
Auch bei der Wiederholung kam es zu einem unentschieden. 
Als Thomas und Mario gerade eine dritte Runde beginnen wollten, hörte das Telefon auf zu klingeln und das Problem hatte sich von selbst gelöst. 
„Dann hätten wir das ja geklärt.“, kommentierte Thomas zufrieden. 
Da seine Hose auf einmal vibrierte (nicht auf die gute Weise) holte er sein Smartphone aus der Tasche und schaute auf das Display.
„Der Hans hat mir 'ne Nachricht geschrieben. Er fragt, ob wir beide ihm am Wochenende beim Umzug helfen können. … Tja, jetzt brauchen wir wohl eine gute Ausrede.“
„Du brauchst eine Ausrede. Mich hat er ja nicht gefragt.“, winkte Mario ab.
„Okay ... Mich hat er auch nicht gefragt, weil.. äh.. seine Nachricht leider nie angekommen ist.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen löschte Thomas die Nachricht von seinem Telefon. „Muss wohl ein technisches Problem sein.“

Später am selben Tag stand Hans vor der WG-Tür und klingelte. Etwas später hörte er in der Wohnung ein gedämpftes, jedoch gut verständliches Streitgespräch. 
„Wer ist da?“, fragte eine Stimme, die Hans als Marios ausmachte.
„Hans.“
„Scheiße! Hat er uns gehört?“
„Weiß nicht.“
„Lass uns einfach so tun, als wären wir nicht da. Mach einfach das Licht aus und halt die Fresse, okay?“
„Ich kann euch hören, Leute“, rief Hans laut durch die Tür. Daraufhin war es kurz still in der Wohnung, dann ging das Licht innen aus. Wieder könnte Hans die beiden WG-Bewohner auf der anderen Seite diskutieren hören.
„Meinst du, er hat uns bemerkt?“
„Ne, ne, mach bloß nicht auf, das ist ein Trick.“
„Ich hab Wodka dabei.“, versprach Hans – und wurde zwei Sekunden später in die WG eingeladen.

Da weder Thomas noch Mario spontan eine gute Ausrede eingefallen war, halfen sie am Wochenende Hans beim Umzug. Die beiden waren gerade dabei, das letzte Regal aufzubauen.
„So, fertig“, meinte Thomas triumphierend. Mario war skeptisch. „Sicher?“
„Klar!“
„Okay, wunderbar.“ Mario hielt ein Plastik-Tütchen mit Schrauben in die Luft. „Und wir haben noch jede Menge Ersatzschrauben übrig!“
Hans war hingegen noch nicht ganz überzeugt. „Das hält doch nie!“
Thomas spielte heftige Empörung vor. „Waaas?! Pass auf, ich zeig dir, wie das hält!“ 
Er haute kräftig mit der Faust gegen das Regal, um dessen Standhaftigkeit zu beweisen, worauf das Regal lautstark auf Mario und Thomas niederfiel.
„Ach du Scheiße!“, rief Hans. „Seid Ihr Okay?!“
„Aaaaah! Meine verfickte Hand tut verfickt weh!“, jammerte Mario wehleidig.
Hans wandte sich Thomas zu, dem reichlich Blut aus der Nase floss. „Thomas, bist du okay?“ 
Doch der antwortete nicht und schien bewusstlos zu sein.
„Dramaqueen!“, meinte Mario.
Just in dem Moment, als Hans zum Telefon eilen wollte, begann eine hübsche Frau im Nachbarhaus auf hypnotische Art, sich halbnackt auf dem Boden zu räkeln.
Er starrte eine Weile hin, bis ihm wieder einfiel, dass er einen Krankenwagen rufen wollte. Der Anblick der jungen Dame war wirklich außergewöhnlich, aber seine Freunde brauchten seine Hilfe und er würde sie nicht hängen lassen. Er wusste, was zu tun war.
Eine Stunde später verständigte Hans den Notarzt und Thomas und Mario wurden ins Krankenhaus eingeliefert.

Währenddessen stand Arabella vor der WG und betätigte erwartungsvoll die Klingel. Sie wartete eine Weile, aber niemand öffnete. Auch auf seinem Handy war Thomas nicht zu erreichen.
Wütend verließ Arabella das Gebäude und lief, ohne zuvor nach links und rechts zu blicken, schnurstracks auf die Straße. Wegen dieser Ablenkung bemerkte sie den roten Reisebus, der auf sie zuraste, erst zu spät.

Als Mario in seinem Krankenhausbett erwachte, fragte er sich, ob er in einem Alptraum gefangen sei. Viele furchtbare Dinge waren vorgefallen. Klar, die Welt ist nicht vollkommen. Aber warum mussten alle schrecklichen Sachen gerade immer ihm zustoßen?! Warum nur?!
Zunächst musste er in einem Bett vor einem winzigen Fernseher sitzen, anstatt auf seiner Couch vor einem großen Fernseher. Und nicht nur das! Er musste sich in nächster Zeit einen neuen WG-Mitbewohner suchen. (Thomas war bei dem Unfall unglücklich gefallen und im Krankenhaus gestorben.)
Und das Schlimmste war: Er musste für mehrere Wochen einen Verband um den kleinen Finger und den Daumen seiner rechten Hand tragen. 
Falls es so etwas wie parallele Universen geben sollte, dachte sich Mario, ist dies sicherlich die dunkelste aller Welten!

Wenig später kam Hans in Marios Zimmer und brachte ihm einige Sachen.
„Wo ist das Bier? Ich hatte definitiv Bier auf der Liste!“, erkundigte Mario sich ungeduldig.
Hans schüttelte den Kopf. „Die Krankenschwester hat gesagt, du darfst erst mal kein Alkohol trinken.“
„Da möchte ich mir gern die Meinung eines zweiten Arztes einholen.“
 Mario schaute eine Weile an die Decke, während Hans ihn fragend musterte. Plötzlich rief er aus: „Doktor Mario sagt, es ist okay. Also, her mit dem Bier!“
„Ich hab keins mitgebracht. Wie gesagt, ich hab die Krankenschwester gefragt, und..“
„Das Leben ist grausam!“, stöhnte Mario. „Ich hab dir eine einfache Aufgabe gestellt und du hast mir versprochen, alles von der Liste mitzubringen. Ist das zu viel verlangt?!“
Hans wagte es, zu widersprechen. „Es war aber auch wirklich eine sehr lange Liste! Und ich musste Thomas' Eltern sagen, dass ihr Sohn tot ist. Und..“
„Ja, ja, ja.“, unterbrach ihn Mario. „Ich sag dir nur eins: Wenn ich in deiner Situation gewesen wäre, hätte ich dich nicht hängen gelassen!“

Kurze Zeit darauf betraten zwei Krankenschwestern den Raum und schoben ein Bett mit einer Patientin herein. „Sie müssen sich diesen Raum von nun an leider teilen.“, meinte eine davon.
Womit hatte er das nur verdient, fragte sich Mario, als seine neue Zimmergenossin hereingefahren wurde. Sie hatte einen Ganzkörper-Gips und kam Mario irgendwie ein wenig bekannt vor.
Das ganze Schlamassel hatte damit begonnen, dass sie Hans beim Umzug geholfen hatten. Nun hatte Mario eine wertvolle Lektion gelernt: Man sollte niemanden helfen, unter keinen Umständen. Wäre er doch nur früher zu Vernunft gekommen!

Die folgenden Tage waren der blanke Horror für Mario. Zuerst regnet es bei Thomas' Beerdigung, dann ist das Essen auch noch mies und zuletzt ruinierte Thomas' Mutter das letzte bisschen gute Stimmung durch einen Nervenzusammenbruch am Sarg ihres Sohnes.
Würde der Spuk denn niemals aufhören?
Zudem waren die Gespräche auf der Trauerfeier so furchtbar eintönig. Alle wollten die ganze Zeit nur über Thomas sprechen. Nicht, dass Mario ständig die ganze Aufmerksamkeit aller seiner Mitmenschen verlangen würde, aber andererseits war Thomas nun mal tot und Mario nicht. Also so toll ist er offensichtlich wohl doch nicht!
Nach der Zeremonie saß Mario mit einer Bierflasche in der linken Hand in Hans' neuer Wohnung, als die heiße Nachbarin wieder sexy Yoga (oder was auch immer) machte.
„Hey Hans, guck mal da drüben!“ 
Hans blickte ihn ernst an. „Ernsthaft?! Thomas ist gerade eben gestorben! Ich meine.. wir haben noch die Klamotten von der Beerdigung an. Und du denkst an so was?!“
„Niemand ist bestürzter über Thomas' Tod als ich!“, stellte Mario empört klar. „Aber die Vergangenheit ist die Vergangenheit. Das Leben muss weiter gehen! Thomas hätte das sicherlich auch so gewollt.“
Hans machte ein nachdenkliches Gesicht. „Wahrscheinlich hast du Recht ...“
Natürlich hatte er Recht.

Als die Nachbarin sich etwas später bei einer Übung zum Fenster drehte, bemerkte sie Hans und Mario und winkte ihnen zu. Mario hob den Arm zum Gruß – woraufhin die Frau plötzlich zu einer Schublade ging, einen Lippenstift herauskramte und anfing, damit Zahlen auf ihr Fenster zu schreiben.
Mario war zunächst total verwirrt, bis er bemerkte, dass seine rechte Hand durch den Gips in eine ewige „Ruf-mich-an“-Geste erstarrt war. Er notierte sich die Nummer der Nachbarin – und endlich nach sehr langer Zeit kehrte wieder ein Lächeln auf sein Gesicht zurück. 
Vielleicht war das Leben doch nicht so schlecht!
Wie das alte Sprichwort schon besagte: Der Einäugige unter den Blinden findet auch mal ein Korn.

Zwei Tage später holte Mario die Nachbarin zu ihrem ersten Date ab. Nur war sie jetzt nicht einfach nur die „Nachbarin“, sondern hatte einen wunderschönen, bezaubernden Namen. Nämlich Natalie.
Oder war es Natascha? Nadja? Nadine? Susanne? Irgend so etwas in der Art. 
Nachdem die beiden Turteltauben ein wenig durch die Stadt gelaufen waren, begegneten sie Hans an einer Straßenkreuzung. Mario grüßte ihn, doch Hans hatte Kopfhörer auf und hörte ihn nicht. Er war gerade auf dem Nachhauseweg vom Baumarkt und hatte lange Regalbretter auf den Schultern.
Als Mario ihn antippte, erschrak er sich heftig und drehte sich schlagartig um. Während Mario sich gerade noch ducken konnte, bekam Nina die Nachbarin die Bretter mit voller Wucht ins Gesicht geknallt. Sie fiel slapstickartig um und machte einen Purzelbaum. Mit blutender Nase blieb sie auf dem schmutzigen Asphalt liegen.
„Dies ist wirklich die beste aller Welten!“, war Mario sich nun sicher und begann lauthals zu lachen.


Freitag, 13.9.2013 
KEIN SCHNICK-SCHNACK

Mario saß gerade mit einem Glas Wein auf der Couch und las die Tageszeitung, als Thomas mit Einkaufstüten in der Hand zur Tür hereinkam.
Thomas setzte seinen Hut ab. „Ich wünsche einen guten Tag, mein Herr!“
Mario stand auf und verbeugte sich höflich. „Auch ich, alter Sportgenosse! Darf ich mich erkundigen, wie ihr Einkauf verlief?“
„Vorzüglich, meine ich! Keine nennenswerte Vorfälle.“
Mario rückte sein Monokel zurecht. „Haben Sie möglicherweise daran denken können, Kaffeebohnen aus der Kolonialwarenhandlung mitzubringen?“
Thomas wurde kreidebleich. „So ein Ärger! Das habe ich leider vergessen. Es tut mir wirklich furchtbar leid!“ Mario winkte ab. „Ach was, das spielt doch keine Rolle, mein Herr!“
In diesem Moment begann die Glocke der Telefon-Apparatur an zu läuten.
„Lassen Sie mich als Wiedergutmachung wenigstens ans Telefon gehen, mein lieber Kamerad!“, bot Thomas an.
Mario schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich unmöglich zulassen. Selbstverständlich nehme ich gerne das Telefonat entgegen. Setzen Sie sich doch!“
„Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich fürchte, ich muss darauf bestehen!“, erwiderte Thomas energisch.
„Na, wenn sie darauf bestehen.“, gab Mario schließlich nach.
„Einen wunderschönen guten Tag!“, begrüßte Thomas den Anrufer. 
„Hans! Was für eine große Freude … Selbstverständlich tun wir dir mit dem größten Vergnügen einen Gefallen! … Einverstanden!“

Zwei Tage nach diesen Ereignissen befanden sich Thomas und Mario in Hans' neuer Behausung und inspizierten ein Regal von zweifelhafter Standhaftigkeit.
„Dies ist das Werk eines Dilettanten, Gentlemen.“, urteilte Mario harsch.
Aus seiner Jackett-Tasche zog Thomas einen weißen Handschuh hervor und gab Mario damit eine schallende Ohrfeige. „Sie haben meine Ehre beleidigt, mein Herr. Ich fordere Genugtuung!“
Während Mario und Thomas ihre Duellpistolen vorbereiteten, begann eine junge Dame im Hause gegenüber, spärlich bekleidet körperliche Ertüchtigungsübungen zu vollführen.
Als die Herren in Hans' Domizil dies bemerkten, waren sie gar erschüttert.
„Das geht zu weit!“, empörte sich Thomas. 
„Ohne Frage, eine solche öffentliche Unzucht darf von uns Ehrenmännern nicht gutgeheißen werden!“, bekräftigte ihn Mario.
Hans zog eiligst die Vorhänge hinunter … 
… Und in diesem Moment erwachte Mario von seinem Alptraum.

Benommen von den grausamen Ereignissen seiner Träume ging Mario zum Kühlschrank und holte sich ein kühles Bier. Die Vorstellung, dass er freiwillig auf den Anblick wenig bekleideter Damen verzichten würde, war beinahe zu grauenhaft für sein zerbrechliches Herz.
Der Horror! Der Horror!

Marios Laune besserte sich, als er beim Zappen im Fernsehen eine Folge von „SpongeBob“ entdeckte. Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht, dachte Mario, als Thomas gerade vom Einkaufen zurückkehrte. Aber Thomas hatte mal wieder keinen mitgebracht. Typisch! 
War dies die düsterste aller möglichen Welten?!
In diesem Augenblick begann das Telefon zu klingeln.
Und so begann das Spiel.