13. März 2011

DER KLEINE TRÄUMLING (Das Buch Genesis Teil 10)


[Teil 1: "Sonne, Mond und Sterne"]
[Teil 2: "Es war einmal..."]
[Teil 3: "Die gerechte Strafe"]
[Teil 4: "Die Reise zum Mittagsland der Erde"]
[Teil 5: "Die Rückkehr der Riesen"]
[Teil 6: "Feuerwasser"]
[Teil 7: "Opfa!"]
[Teil 8: "Bruder Jakob"]
[Teil 9: "Der Mensch und das Weib"]




Die letzten Kapitel des Buches Genesis erzählen vom Träumer Joseph, einer von zwölf Söhnen Jakobs (- dem biblischen Stammvater aller Israeliten). Joseph lebt den amerikanischen Traum und klettert die soziale Letter hinauf - vom kleinen Hirten zu einem der mächtigsten Menschen der Welt. 


NOTHING BUT A DREAMER

Die Geschichte beginnt, als Joseph ein junger Mann von 17 Jahren ist. Obwohl er damit kein Kind mehr ist, verpetzt der Sepp gerne seine Halbbrüder bei seinem Vater.

"1 Jakob aber wohnte im Lande, darin sein Vater ein Fremdling gewesen war, im Lande Kanaan.
2 Und dies sind die Geschlechter Jakobs: Joseph war siebzehn Jahre alt, da er ein Hirte des Viehs ward mit seinen Brüdern; und der Knabe war bei den Kinder Bilhas und Silpas, der Weiber seines Vaters, und brachte vor ihren Vater, wo ein böses Geschrei wider sie war."

(Genesis 37:1-2)



Jakob (auch "Israel" genannt) liebt seinen Sohn Joseph mehr als all seine anderen Kinder. Das macht den Denunzianten wohl zusätzlich unbeliebt unter seinen Geschwistern - denn Jakob lässt es seine anderen Söhne auch spüren, dass er Joseph mehr liebt als sie.

"3 Israel aber hatte Joseph lieber als alle seine Kinder, darum daß er ihn im Alter gezeugt hatte; und machte ihm einen bunten Rock.
4 Da nun seine Brüder sahen, daß ihn ihr Vater lieber hatte als alle seine Brüder, waren sie ihm feind und konnten ihm kein freundlich Wort zusprechen."

(Genesis 37:3-4)



Auch Joseph selbst hält sich für etwas Besseres. Zumindest unterbewusst, wie seine Träume beweisen.

"5 Dazu hatte Joseph einmal einen Traum und sagte zu seinen Brüdern davon; da wurden sie ihm noch feinder.
6 Denn er sprach zu ihnen: Höret doch, was mir geträumt hat:
7 Mich deuchte, wir banden Garben auf dem Felde, und meine Garbe richtete sich auf und stand, und eure Garben umher neigten sich vor meiner Garbe.
8 Da sprachen seine Brüder zu ihm: Solltest du unser König werden und über uns herrschen? und sie wurden ihm noch feinder um seines Traumes und seiner Rede willen."

(Genesis 37:5-8)



Die Brüder verstehen die platte Symbolik sofort und sind sichtlich wütend darüber. Das sollte Joseph eine Lehre sein, künftig solche Träume lieber für sich zu behalten. Ist es aber nicht.

"9 Und er hatte noch einen andern Traum, den erzählte er seinen Brüdern und sprach: Siehe, ich habe einen Traum gehabt: Mich deuchte, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir.
10 Und da das seinem Vater und seinen Brüdern gesagt ward, strafte ihn sein Vater und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, der dir geträumt hat? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?"

(Genesis 37:9-10)


Jetzt ist sogar der Papa böse über seinen Liebling. Obwohl es ja nur ein Traum ist - der mit großer Wahrscheinlichkeit nie in Erfüllung gehen wird. Denn Josephs Mutter, Rahel, ist schon längst tot (Genesis 35:19). Da hat der alte Jakob wohl was durcheinander gebracht. Kein Wunder, da er zwölf Söhne von insgesamt vier Frauen hat.





HOCHMUT KOMMT VOR DEM FALL

Eines Tages hüten Josephs Brüder ihre Schafe, als sie den unbeliebten Bruder nähern kommen sehen.
Sie beschließen, es dem kleinen Träumer mal so richtig heimzuzahlen. Ihr Plan ist allerdings ein wenig radikal.

"18 Als sie ihn nun sahen von ferne, ehe er denn nahe zu ihnen kam machten sie einen Anschlag, daß sie ihn töteten,
19 und sprachen untereinander: Seht, der Träumer kommt daher.
20 So kommt nun und laßt uns ihn erwürgen und in eine Grube werfen und sagen, ein böses Tier habe ihn gefressen, so wird man sehen, was seine Träume sind."

(Genesis 37:18-20)



Der älteste Bruder Ruben meldet allerdings Bedenken an. Als Erstgeborener müsste er seinem Vater Rechenschaft für den verlorenen Sohn abgeben. Er schlägt vor, Joseph nicht zu töten, sondern nur in die Grube zu werfen, aus der er ihn später heimlich wieder befreien will.

"21 Da das Ruben hörte, wollte er ihn aus ihren Händen erretten, und sprach: Laßt uns ihn nicht töten.
22 Und weiter sprach Ruben zu ihnen: Vergießt nicht Blut, sondern werft ihn in die Grube, die in der Wüste ist, und legt die Hand nicht an ihn. Er wollte ihn aber aus ihrer Hand erretten, daß er ihn seinem Vater wiederbrächte."

(Genesis 37:21-22)



Joseph, der seinen hübschen Rock trägt, der zu allem Überfluss auch noch knallbunt ist (tuntiger geht's wohl kaum) erreicht seine Geschwister. Die setzen Rubens Plan um und werfen Joseph in die Grube, ohne selbst hinein zu fallen.

"23 Als nun Joseph zu seinen Brüdern kam, zogen sie ihm seinen Rock, den bunten Rock, aus, den er anhatte,
24 und nahmen ihn und warfen ihn in die Grube"

(Genesis 37:23-24)




Danach machen die Brüder erst mal Mittagspause, währenddessen eine Karawane von Ismaeliten an ihnen vorbeizieht. Dies ist die biblische Bezeichnung für Araber, da sie von Abrahams Sohn Ismael abstammen sollen. Ismael ist somit der Bruder des Großvaters von Joseph und seinen Brüdern. Da bereits ein ganzes Volk aus seinen Nachkommen entstanden ist, muss er recht produktiv beim Kinder machen gewesen sein.

"25 Und setzten sich nieder, zu essen. Indes hoben sie ihre Augen auf und sahen einen Haufen Ismaeliter kommen von Gilead mit ihren Kamelen; die trugen Würze, Balsam und Myrrhe und zogen hinab nach Ägypten.
26 Da sprach Juda zu seinen Brüdern: Was hilft's uns, daß wir unseren Bruder erwürgen und sein Blut verbergen?

27 Kommt, laßt uns ihn den Ismaeliten verkaufen, daß sich unsre Hände nicht an ihm vergreifen; denn er ist unser Bruder, unser Fleisch und Blut. Und sie gehorchten ihm."

(Genesis 37:25-27)


Juda schlägt vor, Joseph zu verkaufen - anstatt ihn umzubringen. Der Autor hätte seinen Text vor der Abgabe wohl besser noch mal lesen sollen: Denn die Brüder hatten kurz zuvor den Plan, Joseph zu ermorden, eigentlich sowieso schon längst aufgegeben. Ihn in die Grube zu schmeißen war ja bereits der Ersatzplan dazu. Steht zumindest so im Text, nur vier Verse vorher.
Die Begründung von Juda, warum die Brüder Joseph nicht töten sollten, ist, dass er ihr eigenes Fleisch und Blut sei. Wenn ein Fremder beleidigende Träume hat, ist es wohl in Ordnung, ihn dafür zu ermorden.

Die Brüder setzen Judas Vorschlag in die Tat um: Sie ziehen Joseph aus der Grube und verkaufen ihn an die Ismaeliten.
Oder doch nicht?..

"28 Und da die Midianiter, die Kaufleute, vorüberreisten, zogen sie ihn heraus aus der Grube und verkauften ihn den Ismaeliten um zwanzig Silberlinge; die brachten ihn nach Ägypten."

(Genesis 37:28)


Der Verfasser dieser Zeilen hat wohl etwas zu viel Opium geraucht. Was er geschrieben hat, ergibt jedenfalls wenig Sinn. Plötzlich heißt es, Midianiter hätten Joseph aus der Grube geholt und an die Ismaeliten verkauft. Dabei waren es doch gerade noch Josephs Brüder, die das Geschäft mit den Ismaeliten gemacht haben. Wenigstens laut dem Text - einen Vers zuvor.

Wie auch immer die Ismaeliten zu ihrem neuen Sklaven gekommen sind - jedenfalls nehmen sie Joseph mit nach Ägypten und verkaufen ihn dort. Oder waren das doch die Midianiter?

"36 Aber die Midianiter verkauften ihn in Ägypten dem Potiphar, des Pharao Kämmerer und Hauptmann der Leibwache."

(Genesis 37:36)


Wie denn jetzt? Gott war wohl beim Bibel inspirieren gerade mit den Gedanken woanders. So entscheidet er sich schon wieder um und lässt doch die Ismaeliten statt den Midianitern Joseph an den Ägypter Potiphar verkaufen.

"1 Joseph ward hinab nach Ägypten geführt; und Potiphar, ein ägyptischer Mann, des Pharao Kämmerer und Hauptmann, kaufte ihn von den Ismaeliten, die ihn hinabbrachten."

(Genesis 39:1)





Wer die Bibel ein wenig kennt, weiß, dass sich dort hin und wieder schon mal ein kleiner Widerspruch befindet. Aber ein Widerspruch, der auf einen Widerspruch folgt, der auf einen Widerspruch folgt - und das alles auf Josephs Weg von der Grube in das Haus Potiphars: Das ist sogar für biblische Verhältnisse sehr beachtlich.



TRAUMTYP

Der Älteste der Brüder, Ruben, ist nicht dabei als Joseph von den anderen Brüdern (oder Midianitern oder sonstwem) aus der Grube gezogen wird. Er kommt später an den Ort des Geschehens und muss schockiert feststellen, dass Joseph nicht mehr da ist. Vor lauter Bestürzung zerreißt er erst einmal seine Klamotten.

"29 Als nun Ruben wieder zur Grube kam und fand er Joseph nicht darin, zerriß er sein Kleid
30 und kam wieder zu seinen Brüdern und sprach: Der Knabe ist nicht da! Wo soll ich hin?"

(Genesis 37:29-30)



Die Brüder nehmen Josephs bunten Rock, tränken ihn in Ziegenblut und überzeugen den Vater, Joseph sei von einem wilden Tier gefressen worden. Der ist todtraurig und zerreißt ebenfalls seine Kleidung. Scheint wohl damals eine üblichere Geste als heutzutage gewesen zu sein.

"34 Und Jakob zerriß sein Kleider und legte einen Sack um seine Lenden und trug Leid um seinen Sohn lange Zeit."

(Genesis 37:34)



Joseph ist nun Sklave im Haus des Ägypters Potiphar. Und wenn er schon gezwungen wird zu arbeiten, dann strengt er sich auch wenigstens besonders an. Mit Gottes tatkräftiger Unterstützung macht er seine Arbeit so gut, dass er schnell zum Chef-Sklaven ernannt wird.

"3 Und sein Herr sah, daß der HERR mit ihm war; denn alles, was er tat, dazu gab der HERR Glück durch ihn,
4 Also daß er Gnade fand vor seinem Herrn und sein Diener ward. Der setzte ihn über sein Haus, und alles, was er hatte, tat er unter seine Hände."

(Genesis 39:3-4)



Leider wird dem verträumten Jüngling bald sein gutes Aussehen zum Verhängnis - denn Potiphars Frau hat ein Auge auf ihn geworfen, oder gar zwei.

"6 [...] Und Joseph war schön und hübsch von Angesicht.
7 Und es begab sich nach dieser Geschichte, daß seines Herrn Weib ihre Augen auf Joseph warf und sprach: Schlafe bei mir!"

(Genesis 39:6b-7)



Joseph ist empört: Nach seinem Moralempfinden wäre es schrecklich, seinen Sklavenbesitzer zu hintergehen. Gott sieht das anscheinend genauso.

"8 Er weigerte sich aber und sprach zu ihr: Siehe, mein Herr nimmt sich keines Dinges an vor mir, was im Hause ist, und alles, was er hat, das hat er unter meine Hände getan,
9 und hat nichts so Großes in dem Hause, das er mir verhohlen habe, außer dir, indem du sein Weib bist. Wie sollte ich denn nun ein solch groß Übel tun und wider Gott sündigen?"

(Genesis 39:8-9)



Aber Potiphars Frau gibt nicht auf und versucht es immer wieder. Als sie schließlich endlich einsehen muss, dass das mit Joseph nichts wird, spinnt sie eine Intrige. Sie behauptet, dass Joseph sie vergewaltigen wollte.

"10 Und sie trieb solche Worte gegen Joseph täglich. Aber er gehorchte ihr nicht, daß er nahe bei ihr schliefe noch um sie wäre. [...]
16 Und sie legte sein Kleid neben sich, bis der Herr heimkam,
17 und sagte zu ihm ebendieselben Worte und sprach: Der hebräische Knecht, den du uns hereingebracht hast, kam zu mir herein und wollte seinen Mutwillen mit mir treiben.
18 Da ich aber ein Geschrei machte und rief, da ließ er sein Kleid bei mir und floh hinaus."

(Genesis 39:10,16-18)



Die Geschichte um Potiphars namenlose Ehefrau ist die letzte im Buch Genesis, in der eine Frau eine aktive Rolle spielt. Dabei wird sie ähnlich unsympathisch dargestellt wie alle anderen Frauen in diesem Buch [mehr dazu in Teil 9 dieser Serie].
Die Bibel vertritt recht unzweideutig die Ansicht, dass Männer Frauen von Natur aus überlegen sind. Wenn ich Gott wäre, würde ich diese Tatsache nicht so medienwirksam veröffentlichen: Immerhin bedeutet dies ja logischerweise auch, dass Gott bei der Schöpfung der Hälfte der Menschheit nicht in seiner Top-Form war und miese Arbeit abgeliefert hat, die weit unterhalb seiner Möglichkeiten steht.




DREAMS ARE MY REALITY

Der Plan von Potiphars Frau geht auf. Potiphar kauft ihr die Story ab und so landet Joseph unschuldig im Gefängnis.

"19 Als sein Herr hörte die Rede seines Weibes, die sie ihm sagte und sprach: Also hat mir dein Knecht getan, ward er sehr zornig.
20 Da nahm ihn sein Herr und legte ihn ins Gefängnis, darin des Königs Gefangene lagen; und er lag allda im Gefängnis."

(Genesis 39:19-20)



Joseph hat die eindeutige Tendenz, Autoritätspersonen unbedingt gefallen zu wollen. Obwohl ihm das im Fall seines Vaters und seines Sklavenbesitzers Potiphar im Endeffekt nicht viel Glück gebracht hat, ändert er sein Verhalten nicht. Er macht seine Zwangsarbeit im Knast so gut, dass ihn der Gefängnisvorsteher schnell zu seiner obersten Vertrauensperson macht.

"21 Aber der HERR war mit ihm und neigte seine Huld zu ihm und ließ ihn Gnade finden vor dem Amtmann über das Gefängnis,
22 daß er ihm unter seine Hand befahl alle Gefangenen im Gefängnis, auf daß alles, was da geschah, durch ihn geschehen mußte.
23 Denn der Amtmann des Gefängnisses nahm sich keines Dinges an; denn der HERR war mit Joseph, und was er tat, dazu gab der HERR Glück."

(Genesis 39:21-23)



Mit Joseph im Knast sitzen ein Bäcker und ein Wirt, die beide beim Pharao in Ungnade gefallen sind. Sowohl der Bäcker als auch der Wirt haben eines Nachts seltsame Träume. Beide sind überzeugt, dass die Träume ihnen ihre Zukunft voraussagen, verstehen sie aber nicht und sind daher verständlicherweise sehr betrübt.

"5 Und es träumte ihnen beiden, dem Schenken und dem Bäcker des Königs von Ägypten, in einer Nacht einem jeglichen ein eigener Traum; und eines jeglichen Traum hatte seine Bedeutung.
6 Da nun des Morgens Joseph zu ihnen hereinkam und sah, daß sie traurig waren,
7 fragte er sie und sprach: Warum seid ihr heute so traurig?
8 Sie antworteten: Es hat uns geträumt, und wir haben niemand, der es uns auslege."

(Genesis 40:5-8a)



Joseph behauptet, nur Gott allein könne Träume deuten. Im nächsten Moment deutet er aber selbst die Träume - anscheinend hält er sich für Gott.

"Joseph sprach: Auslegen gehört Gott zu; doch erzählt mir's."

(Genesis 40:8b)



Der Traum des Bäckers bedeutet laut Joseph, dass der Pharao ihn in drei Tagen hinrichten werde - was natürlich auch prompt so geschieht. Auch die Auslegung des Traums vom Wirt erweist sich als korrekt. Der wird - wie von Joseph vorausgesagt - drei Tage später begnadigt. Blöderweise erzählt der aber niemandem, dass Joseph die Fähigkeit hat, durch Träume in die Zukunft zu sehen. So ein nichtiges Detail kann man ja schon mal vergessen.

"20 Und es geschah des dritten Tages, da beging Pharao seinen Jahrestag; und er machte eine Mahlzeit allen seinen Knechten und erhob das Haupt des obersten Schenken und das Haupt des obersten Bäckers unter den Knechten,
21 und setzte den obersten Schenken wieder in sein Schenkamt, daß er den Becher reicht in Pharaos Hand;
22 aber den obersten Bäcker ließ er henken, wie ihnen Joseph gedeutet hatte.
23 Aber der oberste Schenke gedachte nicht an Joseph, sondern vergaß ihn."

(Genesis 40:20-23)




DER ÄGYPTISCHE TRAUM

Joseph sitzt noch zwei weitere Jahre im Gefängnis. Doch dann hat der Pharao höchstpersönlich Träume, die ihm niemand deuten kann. Er träumt von sieben dicken Kühen und sieben mageren, außerdem von sieben dicken Ähren und sieben dünnen.

"1 Und nach zwei Jahren hatte Pharao einen Traum, wie er stünde am Nil
2 und sähe aus dem Wasser steigen sieben schöne, fette Kühe; die gingen auf der Weide im Grase.
3 Nach diesen sah er andere sieben Kühe aus dem Wasser aufsteigen; die waren häßlich und mager und traten neben die Kühe an das Ufer am Wasser.
4 Und die häßlichen und mageren fraßen die sieben schönen, fetten Kühe. Da erwachte Pharao.
5 Und er schlief wieder ein, und ihn träumte abermals, und er sah, daß sieben Ähren wuchsen an einem Halm, voll und dick.
6 Darnach sah er sieben dünnen Ähren aufgehen, die waren vom Ostwind versengt.
7 Und die sieben mageren Ähren verschlangen die sieben dicken und vollen Ähren. Da erwachte Pharao und merkte, daß es ein Traum war."

(Genesis 41:1-7)



Auch der Pharao ist sich sofort sicher, dass diese Träume zuverlässig die Zukunft vorhersagen. Daher lässt er alle Wahrsager und Weisen seines Landes zur Traumdeutung antanzen. Doch all diese Leute, die immerhin durch diesen Job ihre Brötchen verdienen, haben nicht einmal einen Ansatz einer Hypothese, wie man die subtile Symbolik des Traums verstehen könnte.

"8 Und da es Morgen ward, war sein Geist bekümmert; und er schickte aus und ließ rufen alle Wahrsager in Ägypten und alle Weisen und erzählte ihnen seine Träume. Aber da war keiner, der sie dem Pharao deuten konnte."

(Genesis 41:8)



Nachdem jeder einzelne Wahrsager an den Hof gekommen und an der Deutung der Träume gescheitert war, fällt dem Wirt ein: Ach ja, da war doch noch was...
Er kennt ja jemanden, der Träume richtig auslegen kann! So wird Joseph endlich aus dem Gefängnis geholt und vor den König gebracht. Wieder behauptet Joseph, dass die Traumdeutung allein Sache von Gott ist. Und wieder legt er kurz darauf den Traum selbst aus.

"14 Da sandte Pharao hin und ließ Joseph rufen; und sie ließen ihn eilend aus dem Gefängnis. Und er ließ sich scheren und zog andere Kleider an und kam hinein zu Pharao.
15 Da sprach Pharao zu ihm: Mir hat ein Traum geträumt, und ist niemand, der ihn deuten kann; ich habe aber gehört von dir sagen, wenn du einen Traum hörst, so kannst du ihn deuten.
16 Joseph antwortete Pharao und sprach: Das steht bei mir nicht; Gott wird doch Pharao Gutes weissagen."

(Genesis 41:14-16)



Der Pharao erzählt Joseph von seinen Träumen. Dieser interpretiert die sieben schönen Kühe und dicken Ähren als sieben Jahre mit reicher Ernte und die dünnen Kühe und Ähre als sieben Jahre des Hungerns, die darauf folgen.

"28 Das ist nun, wie ich gesagt habe zu Pharao, daß Gott Pharao zeigt, was er vorhat.
29 Siehe, sieben reiche Jahre werden kommen in ganz Ägyptenland.
30 Und nach denselben werden sieben Jahre teure Zeit kommen, daß man vergessen wird aller solcher Fülle in Ägyptenland; und die teure Zeit wird das Land verzehren"

(Genesis 41:28-30)



Obwohl der Pharao nicht die geringste Ahnung hat, ob diese Deutung richtig ist und eintreffen wird, glaubt er Joseph und holt ihn aus dem Knast.
Aber nicht nur das: Er macht ihn sogar zum Vize-Pharao und hebt ihn über alle Menschen Ägyptens (außer ihn selbst natürlich). Am Morgen noch im Gefängnis, ist Joseph nun nach dem Pharao Ägyptens oberster Politiker, Richter und Befehlshaber über das Militär.

"37 Die Rede gefiel Pharao und allen seinen Knechten wohl.
38 Und Pharao sprach zu seinen Knechten: Wie könnten wir einen solchen Mann finden, in dem der Geist Gottes sei?
39 Und sprach zu Joseph: Weil dir Gott solches alles hat kundgetan, ist keiner so verständig und weise wie du.
40 Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein; allein um den königlichen Stuhl will ich höher sein als du.
41 Und weiter sprach Pharao zu Joseph: Siehe, ich habe dich über ganz Ägyptenland gesetzt."

(Genesis 41:37-41)



Schwer vorstellbar, dass das ägyptische Königreich so viele Jahrhunderte lang erfolgreich bestehen konnte, wenn ein Pharao solch riskante Entscheidungen trifft, wie einem völlig fremden Ausländer, der seit Jahren im Gefängnis sitzt, wegen einer eventuell richtigen Interpretation eines Traums so viel Macht zu verleihen. Dieser blitzartige Aufstieg klingt etwas unglaubwürdig - aber es muss wohl so gewesen sein. Schließlich steht es ja in der Bibel und Gott lügt ja nicht.



SIEBEN JAHRE IN ÄGYPTEN

Wie Joseph es aus Pharaos Träumen gedeutet hatte, folgen sieben fette Jahre. Vize-König Joseph verwaltet den Überschuss der Ernten und lässt ihn lagern, um für die sieben dürren Jahre vorzusorgen - statt alles in den Nil zu werfen oder was immer sie ohne den weisen Joseph getan hätten.

"47 Und das Land trug in den sieben reichen Jahren die Fülle;
48 und sie sammelten alle Speise der sieben Jahre, so im Lande Ägypten waren, und taten sie in die Städte. Was für Speise auf dem Felde einer jeglichen Stadt umher wuchs, das taten sie hinein.
49 Also schüttete Joseph das Getreide auf, über die Maßen viel wie Sand am Meer, also daß er aufhörte es zu zählen; denn man konnte es nicht zählen."

(Genesis 41:47-49)



Zu der Zeit bekommt Joseph auch zwei Söhne von seiner ägyptischen Frau, die er vom Pharao bei seiner Beförderung zur Nummer 2 im Land geschenkt bekommen hat.

"50 Und Joseph wurden zwei Söhne geboren, ehe denn die teure Zeit kam, welche ihm gebar Asnath, Potipheras, des Priesters zu On, Tochter.
51 Und er hieß den ersten Manasse; denn Gott, sprach er, hat mich lassen vergessen alles meines Unglücks und all meines Vaters Hauses.
52 Den andern hieß er Ephraim; denn Gott, sprach er, hat mich lassen wachsen in dem Lande meines Elends."

(Genesis 41:50-52)



Und wie angekündigt folgen auf die sieben fetten Jahre sieben magere. Joseph kümmert sich persönlich um die Verteilung der gesammelten Reserven. Davon gibt es so viel, dass Joseph sogar exportieren kann.

"53
 Da nun die sieben reichen Jahre um waren in Ägypten,
54 da fingen an die sieben teuren Jahre zu kommen, davon Joseph gesagt hatte. Und es ward eine Teuerung in allen Landen; aber in ganz Ägyptenland war Brot."

(Genesis 41:53-54)


Leute aus allen Ländern der Erde kommen nach Ägypten, um Nahrungsmittel zu kaufen, denn anscheinend regnet es sieben Jahre lang nirgendwo auf der Welt mehr.

"57 Und alle Lande kamen nach Ägypten, zu kaufen bei Joseph; denn die Teuerung war groß in allen Landen."

(Genesis 41:57)




THEY'RE ALL SPIES

Auch Josephs Vater Jakob hat gehört, dass man in Ägypten Getreide kaufen könne und schickt daher seine verbliebenen Söhne dorthin - bis auf den jüngsten, Benjamin. Der ist schließlich nach Josephs Verschwinden Jakobs einziger Sohn von seiner Lieblingsfrau Rahel.

"1 Da aber Jakob sah, daß Getreide in Ägypten feil war, sprach er zu seinen Söhnen: Was sehet ihr euch lange um?
2 Siehe, ich höre, es sei in Ägypten Getreide feil; zieht hinab und kauft uns Getreide, daß wir leben und nicht sterben.
3 Also zogen hinab zehn Brüder Josephs, daß sie in Ägypten Getreide kauften.
4 Aber den Benjamin, Josephs Bruder, ließ Jakob nicht mit seinen Brüdern ziehen; denn er sprach: Es möchte ihm ein Unfall begegnen."

(Genesis 42:1-4)



Als die Brüder vor Joseph treten, der die Getreideausgabe persönlich überwacht, erkennen sie ihn nicht wieder. Joseph erkennt jedoch seine Brüder sofort und bemerkt auch, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Dies nutzt er geschickt zu seinem Vorteil aus und gibt daher seine wahre Identität nicht preis.

"6 Aber Joseph war der Regent im Lande und verkaufte Getreide allem Volk im Lande. Da nun seine Brüder kamen, fielen sie vor ihm nieder zur Erde auf ihr Antlitz.
7 Und er sah sie an und kannte sie und stellte sich fremd gegen sie und redete hart mit ihnen und sprach zu ihnen: Woher kommt ihr? Sie sprachen: Aus dem Lande Kanaan, Speise zu kaufen.
8 Aber wiewohl er sie kannte, kannten sie ihn doch nicht."

(Genesis 42:6-8)



Joseph wirft den Brüdern vor, ausländische Spione zu sein - ein Beruf, für den sie hingerichtet werden könnten.

"9 Und Joseph gedachte an die Träume, die ihm von ihnen geträumt hatten, und sprach zu ihnen: Ihr seid Kundschafter und seid gekommen zu sehen, wo das Land offen ist."

(Genesis 42:9)


Die Brüder weisen die schwerwiegenden Anschuldigung weit von sich. Doch Joseph lässt nicht locker. Um zu beweisen, dass sie keine Kundschafter sind, sollen die Brüder zurück zu ihrem Vater reisen und mit dem jüngstem Bruder Benjamin zurückkehren. Als Pfand behält Joseph einen der Bruder zurück und steckt ihn Gefängnis.

"14 Joseph sprach zu ihnen: Das ist's, was ich euch gesagt habe: Kundschafter seid ihr.
15 Daran will ich euch prüfen; bei dem Leben Pharaos! ihr sollt nicht von dannen kommen, es komme denn her euer jüngster Bruder. [...]
19 Seid ihr redlich, so laßt eurer Brüder einen gebunden liegen in eurem Gefängnis; ihr aber zieht hin und bringet heim, was ihr gekauft habt für den Hunger.
20 Und bringt euren jüngsten Bruder zu mir, so will ich euren Worten glauben, daß ihr nicht sterben müßt. Und sie taten also."

(Genesis 42:14-15,19-20)



Warum das Erscheinen von Benjamin beweisen soll, dass keiner der Brüder ein Spion ist, kann ich leider nicht verraten...

Zerknirscht reisen die verbliebenen neun Brüder mit dem Getreide ab. Was sie nicht wissen: Joseph hat in die Getreidesäcke auch das Geld wieder einpacken lassen, das die Brüder für das Getreide bezahlt haben.

"25 Und Joseph tat Befehl, daß man ihre Säcke mit Getreide füllte und ihr Geld wiedergäbe, einem jeglichen in seinen Sack, dazu auch Zehrung auf den Weg; und man tat ihnen also.
26 Und sie luden ihre Ware auf ihre Esel und zogen von dannen."

(Genesis 42:25-26)


Unterwegs in einer Herberge entdeckt einer der Brüder, dass in seinem Getreidesack Geld ist.

"27 Da aber einer seinen Sack auftat, daß er seinem Esel Futter gäbe in der Herberge, ward er gewahr seines Geldes, das oben im Sack lag,
28 und sprach zu seinen Brüdern: Mein Geld ist mir wieder geworden; siehe, in meinem Sack ist es. Da entfiel ihnen ihr Herz, und sie erschraken untereinander und sprachen: Warum hat uns Gott das getan?"

(Genesis 42:27-28)


Die Brüder sind entsetzt, dass Gott ihnen so etwas antut - eine alternative Erklärung ziehen sie nicht in Erwägung. Auch kommen sie nicht auf die Idee, die anderen Säcke zu überprüfen. Dass sich auch in allen Säcken Geld befindet, stellen die Brüder daher erst fest, als sie zuhause gemeinsam mit ihrem Vater Jakob die Säcke öffnen.

"35 Und da sie die Säcke ausschütteten, fand ein jeglicher sein Bündlein Geld in seinem Sack. Und da sie sahen, daß es Bündlein ihres Geldes waren, erschraken sie samt ihrem Vater."

(Genesis 42:35)



Die Brüder erläutern dem Papa die Situation. Doch der will seinen jüngsten Sohn Benjamin nicht herausrücken. Der Älteste, Ruben, bietet daraufhin an, mit dem Leben zu haften - aber natürlich nicht mit seinem eigenen: Er bietet an, dass Jakob seine zwei Söhne töten darf, wenn er Benjamin nicht nach Hause bringt.

"37 Ruben antwortete seinem Vater und sprach: Wenn ich dir ihn nicht wiederbringe, so erwürge meine zwei Söhne; gib ihn nur in meine Hand, ich will ihn dir wiederbringen."

(Genesis 42:37)


Was Jakob davon hat, wenn er beim Tod seines jüngsten Sohnes zwei seiner Enkel ermorden darf, erschließt sich mir ebenfalls nicht ganz. Andere Länder, andere Sitten...



THERE'S AN OLD SAYING IN TENNESSEE

Als die importierten Getreidevorräte verbraucht sind, bittet Jakob seine Söhne, erneut nach Ägypten zu reisen, um Nachschub zu holen. Doch die weigern sich, ohne Benjamin wieder vor Joseph zu treten.

"1 Die Teuerung aber drückte das Land.
2 Und da es verzehrt war, was sie an Getreide aus Ägypten gebracht hatten, sprach ihr Vater zu ihnen: Zieht wieder hin und kauft uns ein wenig Speise.
3 Da antwortete ihm Juda und sprach: Der Mann band uns das hart ein und sprach: Ihr sollt mein Angesicht nicht sehen, es sei denn euer Bruder mit euch."

(Genesis 43:1-3)


Schweren Herzens stimmt Jakob nun doch zu und schickt alle seine verbliebenen Söhne, auch Benjamin, zum Getreidekauf.


Zunächst läuft alles nach Plan: Die Brüder bekommen Simeon zurück, der seit ihrer letzten Reise im ägyptischen Knast sitzen musste. Auch werden sie zu einem großen Bankett in Josephs Haus eingeladen. Auch diesmal erkennen sie ihren Bruder nicht.

"15 Da nahmen sie diese Geschenke und das Geld zwiefältig mit sich und Benjamin, machten sich auf, zogen nach Ägypten und traten vor Joseph.
16 Da sah sie Joseph mit Benjamin und sprach zu seinem Haushalter: Führe diese Männer ins Haus und schlachte und richte zu; denn sie sollen zu Mittag mit mir essen."

(Genesis 43:15-16)


Nach dem Essen brechen die Brüder wieder auf. Erneut lässt Joseph ihnen heimlich das bezahlte Geld wieder in die Säcke legen - außerdem einen Becher, mit dem man wahrsagen kann. Die Brüder haben nichts aus ihrem letzten Erlebnis gelernt und kontrollieren auch diesmal die Säcke nicht.

"1 Und Joseph befahl seinem Haushalter und sprach: Fülle den Männern ihre Säcke mit Speise, soviel sie führen können, lege jeglichem sein Geld oben in seinen Sack;
2 und meinen silbernen Becher lege oben in des Jüngsten Sack mit dem Gelde für das Getreide. Der tat, wie ihm Joseph gesagt hatte.
3 Des Morgens, da es licht ward, ließen sie die Männer ziehen mit ihren Eseln."

(Genesis 44:1-3)



Joseph lässt seine Brüder diesmal allerdings abfangen und durchsuchen. Und natürlich wird das Geld und der Becher bei ihnen gefunden. Au weia!

"4 Da sie aber zur Stadt hinaus waren und nicht ferne gekommen, sprach Joseph zu seinem Haushalter: Auf jage den Männern nach! und wenn du sie ereilst, so sprich zu ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten?
5 Ist's nicht das, daraus mein Herr trinkt und damit er weissagt? Ihr habt übel getan. [...]
11 Und sie eilten, und ein jeglicher legte seinen Sack ab auf die Erde, und ein jeglicher tat seinen Sack auf.
12 Und er suchte und hob am Ältesten an bis auf den Jüngsten; da fand sich der Becher in Benjamins Sack.
13 Da zerrissen sie ihre Kleider und belud ein jeglicher seinen Esel und zogen wieder in die Stadt."

(Genesis 44:4-5,11-13)




LIFE IS BUT A DREAM

Joseph verlangt, dass Benjamin zur Strafe nun sein Sklave sein müsse. Die anderen Brüder versuchen ihn verzweifelt davon abzubringen. Juda bietet sich selbst als Sklaven an, falls Benjamin frei gelassen wird.

"18 Da trat Juda zu ihm und sprach: Mein Herr, laß deinen Knecht ein Wort reden vor den Ohren meines Herrn, und dein Zorn ergrimme nicht über deinen Knecht; denn du bist wie Pharao. [...]
33 Darum laß deinen Knecht hier bleiben an des Knaben Statt zum Knecht meines Herrn und den Knaben mit seinen Brüdern hinaufziehen.
34 Denn wie soll ich hinaufziehen zu meinem Vater, wenn der Knabe nicht mit mir ist? Ich würde den Jammer sehen müssen, der meinem Vater begegnen würde."

(Genesis 44:18,33-34)



Da Joseph erkennt, dass sich die Brüder geändert haben und nicht mehr einen von ihnen aufgeben - wie einst ihn - gibt er sich nun endlich als Joseph zu erkennen.

"4 Er aber sprach zu seinen Brüdern: Tretet doch her zu mir! Und sie traten herzu. Und er sprach: Ich bin Joseph euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt.
5 Und nun bekümmert euch nicht und denkt nicht, daß ich darum zürne, daß ihr mich hierher verkauft habt; denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch her gesandt."

(Genesis 45:4-5)


Angeblich ist er gar nicht sauer darüber, dass seine Brüder ihn einst in die Sklaverei verkauft hatten - da alles eigentlich Gottes Plan war. Aber so wenig nachtragend, wie er behauptet, ist Joseph wohl nicht. Sonst hätte er sich ja sofort zu erkennen gegeben, selbst wenn die Brüder allesamt noch immer so unmoralische Schweinehunde wie früher gewesen wären.
Andererseits ist als Sklave verkauft zu werden wohl auch ein ganz guter Grund, um auf jemanden wütend zu sein.

Die Brüder reisen zurück nach Hause und berichten ihrem Vater die Neuigkeiten. Das muss wohl ein leicht unangenehmes Gespräch gewesen sein, da sie ihm zunächst einmal beibringen mussten, dass sie seinen Lieblingssohn in die Sklaverei verkauft hatten und ihn zwanzig Jahre lang im Glauben gelassen haben, er sei tot.

Aber Ende gut, alles gut. Und so zieht die ganze Großfamilie von Jakob nach Ägypten.

"26 Alle Seelen, die mit Jakob nach Ägypten kamen, die aus seinen Lenden gekommen waren (ausgenommen die Weiber seiner Kinder), sind alle zusammen sechsundsechzig Seelen"

(Genesis 46:26)




AUSGETRÄUMT

Alles was Joseph bisher getan hatte, lässt sich in zwei Kategorien einordnen: Intrigen (erst als Opfer, dann als Täter) und Träume. Nun hinterlässt er auch mal etwas für seine Nachwelt: Er erfindet die Leibeigenschaft, eine neue Form der Sklaverei.
Innerhalb der ersten zwei mageren Jahre macht er die vorher freien ägyptischen Bauern zum Eigentum seines Herrn, dem Pharao. Im ersten Jahr knöpft er ihnen für das Getreide erst mal ihre gesamten Ersparnisse ab.

"14 Und Joseph brachte alles Geld zusammen, das in Ägypten und Kanaan gefunden ward, um das Getreide, das sie kauften; und Joseph tat alles Geld in das Haus Pharaos."

(Genesis 47:14)


Noch im selben Jahr stellt er die Bauern, die jetzt schon kein Geld mehr haben, vor eine Wahl: Entweder verpfänden sie ihr Vieh, das sie ja zum Arbeiten benötigen - oder sie verhungern.

"15 Da nun Geld gebrach im Lande Ägypten und Kanaan, kamen alle Ägypter zu Joseph und sprachen: Schaffe uns Brot! Warum läßt du uns vor dir sterben, darum daß wir ohne Geld sind?
16 Joseph sprach: Schafft euer Vieh her, so will ich euch um das Vieh geben, weil ihr ohne Geld seid."

(Genesis 47:15-16)


Im zweiten Jahr haben die Leute schon wieder Hunger. Die kriegen wohl nie genug, diese gierigen Ägypter! Gnädigerweise gibt der gottgefällige Joseph ihnen etwas von dem Vorräten. Sie müssen nichts dafür tun - außer dem Pharao im Austausch dafür ihren gesamten Landbesitz zu geben.

"18 Da das Jahr um war, kamen sie zu ihm im zweiten Jahr und sprachen zu ihm: Wir wollen unserm Herrn nicht verbergen, daß nicht allein das Geld sondern auch alles Vieh dahin ist zu unserm Herrn; und ist nichts mehr übrig vor unserm Herrn denn unsre Leiber und unser Feld.
19 Warum läßt du uns vor dir sterben und unser Feld? Kaufe uns und unser Land ums Brot, daß wir und unser Land leibeigen seien dem Pharao; gib uns Samen, daß wir leben und nicht sterben und das Feld nicht wüst werde.
20 Also kaufte Joseph dem Pharao das ganze Ägypten. Denn die Ägypter verkauften ein jeglicher seinen Acker, denn die Teuerung war zu stark über sie. Und ward also das Land Pharao eigen."

(Genesis 47:18-20)



Nicht nur, dass die Leute nun keinen Acker mehr haben, sie dürfen ihren Ex-Acker auch nicht unbedingt weiter bearbeiten, sondern werden dorthin geschickt, wo es Joseph halt gerade für richtig hält.

"21 Und er teilte das Volk aus in die Städte, von einem Ende Ägyptens bis ans andere."

(Genesis 47:21)



Dafür, dass die Ägypter netterweise auf dem Acker des Pharaos schuften dürfen, müssen sie ihm von nun an 20% ihres Gewinnes abgeben. Aber angeblich finden die Leute das total super.

"23 Da sprach Joseph zu dem Volk: Siehe, ich habe heute gekauft euch und euer Feld dem Pharao; siehe, da habt ihr Samen und besäet das Feld.
24 Und von dem Getreide sollt ihr den Fünften geben; vier Teile sollen euer sein, zu besäen das Feld und zu eurer Speise und für euer Haus und eure Kinder.
25 Sie sprachen: Du hast uns am Leben erhalten; laß uns nur Gnade finden vor dir, unserm Herrn, so wollen wir gerne Pharao leibeigen sein."

(Genesis 47:23-25)



Die Ironie der Geschichte: Laut der Bibel werden die Nachkommen Jakobs (und daher auch Josephs Nachfahren) später selbst von der ägyptischen Regierung von freien Menschen zu Sklaven gemacht.

"8 Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Joseph [...]
13 Und die Ägypter zwangen die Kinder Israel zum Dienst mit Unbarmherzigkeit
14 und machten ihnen ihr Leben sauer mit schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln und mit allerlei Frönen auf dem Felde und mit allerlei Arbeit, die sie ihnen auflegten mit Unbarmherzigkeit."

(Exodus 1:8,13-14)




WHEN ISRAEL WAS IN EGYPT'S LAND

Als Josephs Vater, abwechselnd Israel und Jakob genannt, nach Ägypten kommt, ist er nicht mehr ganz der Jüngste, mit seinen zarten 130 Jahren. Dennoch lebt er dort noch 17 Jahre.

"27 Also wohnte Israel in Ägypten im Lande Gosen, und hatten's inne und wuchsen und mehrten sich sehr.
28 Und Jakob lebte siebzehn Jahre in Ägyptenland, daß sein ganzes Alter ward hundertsiebenundvierzig Jahre."

(Genesis 47:27-28)


Als er sich dem Tod nahe fühlt, spricht er noch verschiedene Segen über seine Nachkommen. Er beginnt mit den Söhnen Josephs.

"13 Da nahm sie Joseph beide, Ephraim in seine rechte Hand gegen Israels linke Hand und Manasse in seine Linke Hand gegen Israels rechte Hand, und brachte sie zu ihm.
"14 Aber Israel streckte seine rechte Hand aus und legte sie auf Ephraims, des Jüngeren, Haupt und seine linke auf Manasses Haupt und tat wissend also mit seinen Händen, denn Manasse war der Erstgeborene."

(Genesis 48:13-14)


Joseph segnet beide Enkel in einem Rutsch, wobei aber die rechte Hand einen besseren Segen abgibt. Fragt mich nicht, wie das funktioniert...
Dieser Hauptsegen steht eigentlich dem Erstgeborenen zu. Aber genau wie Jakob einst durch einen Trick dafür gesorgt hatte, dass sein Vater Isaak dem Zweitgeborenen den Ergeborenen-Segen gibt - nämlich ihm - segnet Jakob den Zweitgeborenen Josephs mit dem traditionellen Erstgeburtssegen.
Einen Grund dafür hat er nicht.

"17 Da aber Joseph sah, daß sein Vater die rechte Hand auf Ephraims Haupt legte, gefiel es ihm übel, und er faßte seines Vaters Hand, daß er sie von Ephraim Haupt auf Manasses Haupt wendete,
18 und sprach zu ihm: Nicht so, mein Vater; dieser ist der Erstgeborene, lege deine rechte Hand auf sein Haupt.
19 Aber sein Vater weigerte sich und sprach: Ich weiß wohl, mein Sohn, ich weiß wohl. Dieser soll auch ein Volk werden und wird groß sein; aber sein jüngerer Bruder wird größer denn er werden, und sein Same wird ein großes Volk werden."

(Genesis 48:17-18)





ANGRY DAD

Als Jakob danach seine zwölf Söhne segnet, kommt sein eigener Erstgeborener auch nicht besonders tut weg. Sein Segen ist eigentlich eher ein Fluch.

"2 Kommt zuhauf und höret zu, ihr Kinder Jakobs, und höret euren Vater Israel.
3 Ruben, mein erster Sohn bist du, meine Kraft, und der Erstling meiner Stärke, der Oberste in der Würde und der Oberste in der Macht.
4 Er fuhr leichtfertig dahin wie Wasser. Du sollst nicht der Oberste sein; denn du bist auf deines Vaters Lager gestiegen, daselbst hast du mein Bett entweiht mit dem Aufsteigen."

(Genesis 49:2-4)


Das Ereignis, auf das Jakob anspielt, ist in Kapitel 35 des Buches Genesis dokumentiert.

"22 Und es begab sich, da Israel im Lande wohnte, ging Ruben hin und schlief bei Bilha, seines Vaters Kebsweib; und das kam vor Israel."

(Genesis 35:22)



Der Vorfall fand statt, bevor Joseph nach Ägypten verkauft wurde - also vor mindestens 37 Jahren. (Joseph war 17, als er verkauft wurde - Genesis 37:2 - und 30, als er den Traum des Pharaos deutete - Genesis 41:46. Dann folgten die sieben fetten Jahre. Irgendwann während der mageren Jahre zog Jakob nach Ägypten und wohnte dort 17 Jahre lang bis zu seinem Tod - Genesis 47:28.)
Dass Ruben vor Jahrzehnten ein einziges Mal mit einer seiner vier Frauen Sex gehabt hatte, kann Jakob ihm all die Jahre nicht verzeihen. Nicht einmal auf dem Sterbebett vergibt er ihm - oder verzichtet wenigstens darauf, ihm Vorhaltungen zu machen, die Ruben wohl für den Rest seines Lebens verfolgen werden. Stattdessen nimmt er ihm gerade in diesem Moment vor all seinen Brüdern das Erstgeburtsrecht weg.

Es ist ganz schön fies von seinen Söhnen Perfektion zu verlangen, nur weil Jakob selbst in seinem Leben immer ein moralisches Vorbild.. Warte mal...

Jakob hat noch mehr Vorhaltungen zu machen. Seine Söhne Levi und Simeon werden gescholten wegen eines Blutbads, das sie als Reaktion auf die Vergewaltigung ihrer Schwester angerichtet haben (s. Teil 9).

"5 Die Brüder Simeon und Levi, ihre Schwerter sind mörderische Waffen.
6 Meine Seele komme nicht in ihren Rat, und meine Ehre sei nicht in ihrer Versammlung; denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erwürgt, und in ihrem Mutwillen haben sie den Ochsen verlähmt.
7 Verflucht sei ihr Zorn, daß er so heftig ist und ihr Grimm, daß er so störrig ist. Ich will sie zerteilen in Jakob und zerstreuen in Israel."

(Genesis 49:5-7)



Den besten Segen bekommt Juda. Das ist der, der seine Schwiegertochter wegen Hurerei verbrennen lassen wollte - bis er erfährt, dass er selbst der Freier war (s. Teil 9). Außerdem war es seine Idee, Joseph als Sklaven zu verkaufen (Genesis 37:27).

Die anderen Söhne bekommen mehr und weniger gute Segen, die sich aber eher auf ihre Nachkommen als auf sie beziehen. Es sind - wie Jakob selbst sagt - Prophezeiungen für die Zukunft.

"1 Und Jakob berief seine Söhne und sprach: Versammelt euch, daß ich euch verkündige, was euch begegnen wird in künftigen Zeiten."

(Genesis 49:1)


Jakobs Prophezeiungen sind allerdings nicht allzu gut und versagen schon bei relativ nahen Ereignissen. So sagt er Joseph voraus, dass der einmal in sein Heimatland, nach Kanaan, zurückkehren werde.

"21 Und Israel sprach zu Joseph: Siehe, ich sterbe; und Gott wird mit euch sein und wird euch wiederbringen in das Land eurer Väter.
22 Ich habe dir ein Stück Land zu geben vor deinen Brüdern, das ich mit Schwert und Bogen aus der Amoriter Hand genommen habe."

(Genesis 48:21-22)


Allerdings erfahren wir nur zwei Kapitel später, dass Joseph bis an sein Lebensende in Ägypten wohnt und dort begraben wird.

"22 Also wohnte Joseph in Ägypten mit seines Vaters Hause und lebte hundertundzehn Jahre [...]
26 Also starb Joseph, da er war hundertundzehn Jahre alt. Und sie salbten ihn und legten ihn in eine Lade in Ägypten."

(Genesis 50:22,26)




NUR DIE WURST HAT ZWEI

Das letzte Kapitel des Buches Genesis erzählt vom Begräbnis Jakobs und schließlich vom Tod Josephs. Obwohl der mit 110 Jahren nicht allzu jung sterben muss, kann man doch innerhalb des Buches Genesis eine radikale Senkung der Lebenserwartung feststellen.
Josephs Vater Jakob wird immerhin 147 (Genesis 47:28) und sein Großvater Isaak 180 Jahre jung (Genesis 35:28).
Das ist aber nichts im Vergleich zu seinen Urahnen - wie Noah, der stolze 950 Jahre alt wird (Genesis 9:29) oder dessen Opa Methusalem, der das stattliche Alter von 969 Jahren erreicht (Genesis 5:27).


Offenbar galt schon früher der Grundsatz, dass früher alles besser war...



Das nächste Mal in "Das Buch Genesis": Was soll der Schmarr'n?! Ein Fazit.

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SERIE: "DAS BUCH GENESIS"


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