18. Juni 2009

MEDIENNUTTE AUF PROBE

Fernsehkritik: "Erwachsen auf Probe", 17.6.2009 RTL 20.15

Viele Stammzuschauer der Privatsender haben Probleme mit der Erziehung ihrer Kinder. Sie haben keine Zeit, sich pädagogisches Fachwissen anzueignen. Schließlich schauen sie ja den ganzen Tag fern. RTL hat die Lösung für dieses Dilemma. Bei "Erwachsen auf Probe" sollen Teenies den Umgang mit Kindern lernen. Erst kriegen sie Babies, dann Kleinkinder, dann Schulkinder und schließlich fast Gleichaltrige. Ganz nah am Leben! Es passiert ja ständig, dass Teenies Kinder kriegen und schwupps - ehe man sichs versieht - sind die Blagen auch schon fast genauso alt wie man selbst...


Schon im Vorspann erzählt uns der Sprecher, Eltern sein sei "der härteste Job der Welt".
Wenn man sich normalerweise den "härtesten Job der Welt" vorstellt denkt man vielleicht an die Fremdenlegion, Polarexpeditionen oder Extremstuntleute. Auf jeden Fall ein Job, den nur ganz wenige Menschen machen können, da die anderen einfach nicht hart genug dafür sind. Mehr als die Hälfte der Menschheit bekommt Kinder, und die meisten kriegen das - trotz RTL - auch einigermaßen gut hin.
Gut, manche halt nicht. Die verleihen ihre Kinder dann an "Erwachsen auf Probe".

Gestrige Folge begann mit einer dramatischen Situation: Die Mutter des kleinen Lasse holt ihr Baby aus dem Haus, weil es dort zu unaufgeräumt ist. Klar, es wäre natürlich ein großes Unglück, wenn der kleine Racker ein bisschen Dreck frisst. Wahrscheinlich würde er auf der Stelle elendig verrecken. Das kleine Kind von seinen Eltern zu trennen, es fremden Leuten anzuvertrauen und vor Scheinwerfer und Kameras zu zerren, das ist völlig Okay. Aber Dreck? Das geht so in Deutschland nicht!
Der arme Kerl. Wenn der, wenn er älter ist, den Schock überwunden hat, dass er "Lasse" heißt, muss er auch noch erfahren, dass seine Mutter ihn fürs Fernsehen prostituiert hat, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Mann, wird der angepisst sein...

Aber auch für die Teenies ist es hart. Einmal sagt der Sprecher so etwas wie:
"Nach anfänglichen Schwierigkeiten nimmt der 19jährige seine Vaterrolle sehr ernst". Wie denn jetzt? Erst war es noch "der härteste Job der Welt" und auf einmal reicht es, ein paar Stunden auf ein Kind aufzupassen um von RTL als "Vater" bezeichnet zu werden.

Später dann werden die ganz kleinen Kinder dann gegen etwas weniger kleine ausgetauscht. Vorher verabschieden sich die Eltern der Babies noch mit guten Ratschlägen. Eine Mutter sagt über das Paar, dem sie tagelang ihr Kind anvertraut hatte, sie habe Bedenken, falls diese selbst mal Kinder haben wollten.
Wenn sie sich nur halb so viel um ihr eigenes Kind sorgen würde als über eines, das es noch nicht einmal gibt...

Beim Privatfernsehen ist es nicht unüblich, neutrale Bilder durch einen Sprechertext in eine bestimmte Richtung zu lenken. Bei "Erwachsen auf Probe" geht man noch einen Schritt weiter.

Ein Abschied läuft nicht unbedingt dramatisch (Originaldialog: "So, es ist wohl Zeit, Tschüss zu sagen" - "Tschüss!"; das Ganze dauert fünf Sekunden). "Mach ja nichts!", haben sich die Redakteure wohl gedacht und einfach einen Sprechertext darüber gelegt, der behauptete, wie emotional die Verabschiedung doch abgelaufen ist und gehofft, dass sich die Zuschauer denken: "Wenn der das sagt, wird das wohl stimmen. Die würden uns ja nicht anlügen...." Natürlich nicht!

Die Babies sind nun also raus aus dem Rampenlicht. Nach ihrem ersten TV-Auftritt haben sie nun die Möglichkeit, das Denken zu lernen. Das ist durchaus nicht bei allen RTL-Protagonisten so...

Die drei- bis vierjährigen Kinder wollen nun beschäftigt werden. Ein Paar spielt deshalb mit ihrem Kind ein Kartenspiel. Dabei muss man aus je zwei Karten, auf denen je eine Hälfte eines Tieres gezeichnet ist, dazu die Hälfte des Namens des Tieres, das komplette Tier zusammensetzten. Das Paar konstruiert aus einem Pavian und einem Hasen einen Wolpertinger namens „Pase“. Da die beiden sich darüber wundern, dass sie noch nie von diesem Tier gehört haben, klärt das Kind sie auf und korrigiert den Fehler. Das Spiel ist schließlich dafür da, dass man was lernt.

Im Vorfeld der Sendung hatten viele Kritiker gemahnt, dass der Fernsehauftritt den Kindern schaden wird. Aber wenn man Eltern hat, die ihre Kinder für so eine Sendung, ein paar Hundert Euros und eine kleine Priese Ruhm "zur Verfügung stellen" (Zitat einer dieser Mütter), dann hat man wohl eh größere Probleme in seinem Leben.

Und den größten Schaden verursacht die Sendung zweifellos am Verstand des Zuschauers. Wenn es nicht sowieso schon zu spät ist...


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